Hypoglykämie

Inhaltsverzeichnis

Autor: Dr. A. Donas, Dr. P. Imahorn, Dr. P. Tonella
Version: 06/2017

Key Points

Das kindliche Hirn ist sehr vulnerabel auf Energiemangel - „Sugar is brain!“


Falls Hypoglykämie < 2.6 mmol/L, „Critical Sampling“ inklusive Labor-Glukose: Nur während der Hypoglykämie kann damit die Ätiologie bestimmt werden!


DANN rasche Hypoglykämie-Korrektur:

2ml/kgKG Glukose 10% i.v.

(gefolgt von anschliessender Glukoseinfusion: sh. Schema Schockraummedikamente INS und iv-Rehydrierungs-Schema, beide Kispi Wiki)

Die häufigste Form der Hypoglykämie ist die idiopathische ketotische Hypoglykämie

Definition

Hypoglykämie = Blutglukose < 2.6mmol/l (< 3mmol/L falls symptomatisch*)

Anamnese, Symptome und klinische Zeichen

Anamnese: Diabetes mellitus? Erstereignis oder Hypoglykämie bereits vorgekommen? Hinweise auf Langzeitmanifestationen (Entwicklungsverzögerung, Verlust von Meilensteinen, Epilepsie)?

Abstand letzte Mahlzeit (nüchtern, postprandial)? Medikamente? meist unspezifisch

*Symptome und klinische Zeichen:

Häufige Vorzeichen: Lethargie, irritables oder aggressives Verhalten, Trinkverweigerung oder rezidivierendes Erbrechen

ZNS-Effekte: Somnolenz, Apnoe, Zyanose, Muskuläre Hypotonie, Koma, Krampfanfälle, Kopfschmerzen, Reizbarkeit, Verwirrtheit, verschwommene Sicht (Somnolenz und Verwirrtheit können über die Korrektur der Hypoglykämie hinaus persistieren)

Adrenerge Effekte: Tremor, Hunger, Schwitzen, Blässe, Schwäche, Tachykardie, Ängstlichkeit

Status: Hepatomegalie, kleines Genitale, Hyperpigmentierung, Kleinwuchs


Ursachen

Idiopathische ketotische Hypoglykämie

(Alter 1-6 J.)

Hypoglykämie mit erhöhten Ketonkörpern (Blut und Urin)

Tritt nach Fasten (Trinkverweigerung oder Krankheit) auf, vermutlich aufgrund von herabgesetzter endogener Glukoseproduktion

Sekundär

Sepsis, schwere Allgemeinerkrankung

Defekte der Glykolyse und der Glykogenolyse

z.B. Glykogenspeicherkrankheiten

Glukoneogenese Defekte

z.B. Hereditäre Fruktose-Intoleranz, Fettsäure-Oxidations-Störungen, Glutaracidurie Typ 2, Carnitin Mangel, GSD Ia

Hormonell

GH (Wachstumshormom), Cortisol-Mangel (NNR Insuffizienz), Hypopituitarismus

Hyperinsulinismus

Säuglinge diabetischer Mütter, kongenitaler Hyperinsulinismus, Beckwith-Wiedemann Syndrom, late Dumping Syndrom, Lebererkrankungen

Komplikationen bei DM Typ I

Insulinüberdosierung (versehentlich/absichtlich), zu wenig Zufuhr von Kohlenhydraten, zuviel Sport

Intoxikation/ Metabolismus

Sulfonylharnstoffe, Betablocker, Salizylate, Ethanol


Diagnostik

  • Falls HGT (kapillär) Blutzucker <2.6 mmol/L und Kind asymptomatisch, Laborzucker abwarten.
  • Falls Labor-BZ <2.6 mmol/L ODER HGT <2.6mmol/L und symptomatisches Kind (unbekannte Ursache Hypoglykämie): „Critical sampling“ bestimmen inklusive zeitgleicher Labor-Glukose VOR Gabe von i.v. oder p.o. Glukose (sh. Kispi Wiki Hypoglykämie: Laborabklärungen)
  • Röhrchen für die Blutentnahme sind in der Notfallstation gerichtet, Laborzettel kann später angekreuzt werden

Therapie und Management

Behandlung der Hypoglykämie nicht verzögern! Ziel BZ >5.5mmol/l

Schritt 1: 2ml/kg Glukose 10% i.v. als Bolus

Schritt 2: Glukosehaltige Vollelektrolytlösung (Schema Rehydrierung und Erhalt, Kispi Wiki)

Schritt 3: Erste Glukose-Kontrolle nach 30 Minuten

Schritt 4: Ursache der Hypoglykämie behandeln (Gastroenteritis, Sepsis, adrenerge Krise bei Nebennieren-Insuffizienz* etc)

* bei Trias Hypoglykämie, Hyponatriämie und Hyperkaliämie, volumenresistenter Schock.

Schritt 5: weiteres Prozedere ggf. mit Endokrinologie/Neuropädiatrie besprechen (z.B. Diazoxide, Glucagon, Fettsubstitution, Carnitin). Bei V.a.metabolisches Problem Protein-/Fettzufuhr stoppen!

Schritt 6: Stationäre Aufnahme

Folgende Information für Konsil parat halten: Wie war bisherige Glc-Zufuhr? Hepatomegalie? Makrozephalie? Urinstatus: Keton+?

Abbildung 1. Abklärung der Hypoglykämie.

FS=Fettsäure, NNR=Nebennierenrinde, GH=Wachstumshormon, ACTH=Adrenocorticotropes Hormon.

Das Vorhandensein oder Fehlen von Ketonkörpern (KK) und Laktat ist wichtig bezüglich der DD und der Gefährlichkeit der Hypoglykämie: beides sind „Ersatzbrennstoffe“ für das Gehirn, bei Mangel ist die Hypoglykämie noch gefährlicher.


CAVE: Besonders bei Mitochondriopathien und Glykogenspeicherkrankheiten und manchmal auch bei Organazidurien (pathologische organische Säuren) ist eine vorsichtige Glukoseinfusion indiziert. Ein Laktatanstieg unter Glukose-Infusion kann ein Hinweis auf PDH-Defekt (Pyruvat-Dehydrogenase) sein.

Bei Hyperinsulinisumus hingegen, oder wenn das Durchbrechen des Katabolismus nötig ist und meist auch bei Organoazidurien ist der Glukosebedarf sehr hoch (>10mg/kg/min)! (Siehe Abb. 1)

Merke

DEFG = “Don’t ever forget glucose!” Bei jedem kritisch kranken Kind eine Hypoglykämie ausschliessen.

Referenzen

1. Hoe F, Hypoglycaemia in infants and children. Advances in Pediatrics 2008. 55;367-384

2. Up to date: approach to hypoglycemia in infants and children

3. Scheidegger UA, Flück CE, Nuoffer JM. Hypoglykämie im Säuglingsalter-nicht immer eine Banalität. Der pädiatrische PRAXIS-Fall 2007;96:503-506.

4. Royal Childrens Hospital Melbourne. Clinical Practice Guidelines Hypoglycemia

5. Merkblattordner NZKJ Inselspital Bern.

6. Thornton PS et al.Recommendations from the Pediatric Endocrine Society for Evaluation and Management of Persistent Hypoglycemia in Neonates, Infants and Children. J Pediatr 2015;167:238-45