Synkope

Inhaltsverzeichnis

Autoren: Dr. A. Donas (Kindernotfall), Dr. P. Kuen (Kinderkardiologie), Dr. Th. Schmitt-Mechelke, Dr. F. Bauder (Neuropädiatrie)
Version: 06/2017

Key points

Synkopen sind häufig: Inzidenz ist 0.5 – 1% bei Kindern jeden Alters

15 – 50% aller Jugendlichen erleiden mind. eine Synkope (w>m)

Bei der Mehrzahl der Synkopen finden sich keine gravierenden körperlichen Ursachen.

Bei Kindern tritt am häufigsten die vasovagale (neurokardiogene) Synkope auf.

Für die Beurteilung einer Synkope bei Kindern ist die genaue Anamnese das wichtigste diagnostische Instrument.

Ein Ruhe-EKG kann dabei helfen, seltene aber gefährliche Herzrhythmusstörungen zu erkennen

Definition

Unter einer Synkope versteht man einen plötzlichen und nach kurzer Erholungszeit vollständig reversiblen Bewusstseins- und Tonusverlust auf Grund einer transienten zerebralen Minderperfusion oder eines Substratmangels (Sauerstoff, Glucose).

Die meisten Synkopen im Kindesalter sind benigne (bis 80% neurokardiogen: Im Erwachenenalter nur noch etwa 5%!). Nichtsdestotrotz: Bis zu 25% der Kinder, welche einen plötzlichen Herztod erlitten, hatten im Vorfeld Synkopen.

Differentialdiagnosen: Ätiologie

1. Synkopen durch Störung der autonomen Regulation ("Ohnmacht": Reflexsynkopen)

- vasovagal (neurokardiogen)

- orthostatisch/postural

2. Kardiale Synkopen

- Rhythmusstörungen (z.B: Long-QT-Syndrom: polymorphe ventrikuläre Tachykardien ("Torsade de pointes") mit Synkope, Krämpfen, plötzlicher Herztod

- Strukturell bedingt (z.B. kritische Aortenstenose, schwere pulmonale Hypertonie, Fallot-Tetralogie: äusserst selten)

3. Respiratorisch

- Hyperventilation

- Husten-assoziiert

- Affektkrämpfe

4. Metabolisch

- Anämie

- Hypoglykämie

5. Krankheitsbilder die Synkopen-ähnlich aussehen können:

- Migräne

- Krampfanfall (atone Anfälle, myoklonische Anfälle, komplex-partielle Anfälle, Absenzen)

- Konversionsstörungen (Pseudosynkope: "hysterical faint")

- Anaphylaxie

Anamnese, Symptome und klinische Zeichen

Tab. 1: Unterscheidung kardial - nicht kardial

Kardiale Synkope Nicht kardiale Synkope
Positive Familienanamnese für plötzlichen Herztod, unklare Todesfälle, hohe Abortrate

oft positiv für Synkopen

Auftreten bei körperlicher Belastung, Auftreten im Liegen Fehlt
Keine Prodrome Prodrome typisch (sh. Text)
Kardiale Vorerkrankung Fehlt
Blässe während Ereignis Blässe davor und während
Häufig Verletzungen durch Synkope

Selten Verletzungen

Tab. 2: Unterscheidung epileptisch - nicht epileptisch

 

  GM-Anfall
Augen meist offen
Synkope
Augen häufig geschlossen
Trigger (Fotostimulation) Emotionaler Reiz, Schmerz, Orthostase, Husten, Miktion, Defäkation,
Prodromi (Schwarzwerden..)
Hautfarbe Variabel (Zyanose - periorale Verfärbung Blässe
Einnässen Möglich Möglich
Zungenbiss Möglich Möglich
tonische Phase Ausgeprägter Kurzer Opisthotonus
(„unteres Mittelhirn“)
klonische Phase Ausgeprägt, bilateral symmetrisch Kurz, polytop, irregulär
Reorientierung Längere Reorientierung, kürzerer Nachschlaf rasch, dann evtl. Nachschlaf
Labor Evtl. CK, Prolaktin bis zu 4h nach Anfall erhöht Falsch-positive Prolaktin-Erhöhung möglich
FA Evtl. positiv Oft positiv (autosomal-dominant?)

 

Diagnostik

Detaillierte Anamnese

  • Vitalparameter, klinische Untersuchung (je nach Auslöser evtl. Schellong etc)
  • 12-Kanal-EKG (ausser bei klarem nicht-kardialem Auslöser)

Algorithmus

Charakteristika: Detaillierte Übersicht


1. Synkopen durch Störung der autonomen Regulation
Es finden sich meist klare Auslöser wie Müdigkeit, Hunger, Hitze oder Dehydratation, Schmerz, Wut und (rasche) Lagewechsel.
Die Kinder beschreiben häufig prodromale v.a. vegetative Symptome („Aura“): Schwindel, Nausea, Schwitzen, Sehstörungen u.a. Augendeviation, Myoklonien, Inkontinenz und eine postiktale Phase können auch dazu gehören, sind aber seltener und kürzer als bei einem epileptischen Anfall.

Vasovagal (neurokardiogen, NMS= neurally mediated syncope)
Als Auslöser finden sich häufig Müdigkeit, Hunger, Hitze oder Dehydratation
Es kommt gleichzeitig zu einem Abfall des systolischen Blutdrucks und einer Bradykardie. Beides führt zu einer zerebralen Minderperfusion und in der Folge zum Bewusstseinsverlust.

Orthostatische Dysregulation (Postural orthostatic tachycardia syndrome/POTS)
Sie sind die Folge von schnellen Lagewechseln (vom Liegen/Sitzen zum Stehen) oder langem Stehen. Es kommt zu einer exzessiven Tachykardie, üblicherweise ohne Blutdruckabfall. Diagno-se: Anamnese und Schellong-Test. Nachweis bei Anstieg der Herzfrequenz um mehr als 30 über Baseline oder HF>120/min (Patienten über 14 Jahre) bzw. >130/min (Patienten unter 14 Jahre) innerhalb 10 Minuten nach Lagewechsel.

2. Kardiale Synkopen
Kardial bedingte Synkopen sind bei Kindern und Jugendlichen sehr selten aber potenziell le-bensgefährlich. Deren Diagnose bzw. Ausschluss ist deshalb das Entscheidende bei Synkopen. Die Anamnese ist dafür das wichtigste Instrument (neben dem allgemeinen und speziell kardiolo-gischen Status). Kardiale Synkopen treten u.a. auf bei primären Arrhythmien, strukturellen Herzfehlern bzw. voroperierten Herzen oder Kardiomyopathien; evtl. positive Familienanamnese

Anstrengungssynkope
Anstrengungsinduzierte Synkopen treten bei Athleten auf, meist direkt nach Ende eines Laufs oder Workouts. Mechanismus für die Synkope ist die abrupte Verminderung des venösen Rückflusses am Ende des Wettrennens bei ausgeprägter Vasodilatation während des Sports und nun akutem Verlust der Skelettmuskelanspannung.

3. Respiratorische Synkopen

Zyanotische Affektkrämpfe
Affektkrämpfe treten bei Kindern im Alter an häufigsten zwischen 6 Monaten und 5 Jahren auf.
Auslöser sind heftige Affekte wie Schmerz, Schreck, Enttäuschung, Wut etc.
Durch eine reflexhaft ausgelöste endexspiratorische Apnoe mit intrapulmonalem Re-Li-shunt entsteht eine Hypoxie, die sekundär eine Asystolie (Dauer ca. 10-30 Sek.) mit Blässe auslösen kann. Die Familienanamnese ist hierfür oft positiv.

Hyperventilation
tritt meist bei emotionalem Stress und ebenfalls am ehesten bei Jugendlichen auf. Typische Prodromi sind Engegefühl, Thoraxschmerzen oder Atemnot. Es können Parästhesien (Kribbeln um den Mund, Händen), Tetanien ("Pfötchenstellung") und Sehstörungen auftreten.

4. Metabolische Synkopen
Im Zusammenhang mit Intoxikationen oder Substanzabusus, bei Anämie oder Störungen des Elektrolythaushaltes kann es zu Synkopen kommen.
Bei jedem unklaren Anfallsereignis und jeder Bewusstlosigkeit gehört die Bestimmung des Blutzuckers zur Diagnostik.
Je nach anamnestischem oder klinischen Verdacht sollten ausserdem die folgenden laborchemischen Untersuchungen durchgeführt werden:

- Blutbild
- Bestimmung der Elektrolyte, BGA (Beachte: Anionenlücke) incl. Laktat, ggfs NH 3
- Tox-Screening im Urin

5. Synkopen-ähnliche Krankheitsbilder
Ein Migräne-Anfall mit Aura kann einem epileptischen Anfall sehr ähnlich sein. Insbesondere bei der Basilaris-Migräne (konfusionelle Migräne) kann es neben Symptomen wie Sprachstörungen, Schwindel, Tinnitus, Hörminderung, Sehstörungen und Ataxie zu einer passageren Bewusstseinsstörung kommen. Typischerweise kommt es zu Wanderung der sensomotorischen Phänomene über Minuten, während es beim Jackson-Anfall innerhalb von Sekunden geschieht.

Konversionsstörung

Konversionsstörungen treten am ehesten bei Jugendlichen auf. Synkopenartige Ereignisse treten meist in Anwesenheit eines Publikums auf und können prolongiert verlaufen. Hämodynamische oder autonome Veränderungen fehlen. Die Jugendlichen verletzen sich selten. Anfälle werden oft sehr indifferent beschrieben.

Anaphylaxie kann selten Synkopen oder Bewusstseinsverlust beinhalten. Prodromi sind Flush, Pruritus, Urticaria, Bronchospasmus oder Bauchschmerzen. Eine genaue Anamnese ist wichtig, da diese Symptome bei der Evaluation bereits vorbei sein können. Merke: Synkopen sind meistens reflektorisch und ungefährlich
Anamnese ist zentral! an lebensbedrohliche DD denken: kardial, Elektrolytstörungen, Hitze, (Anaphylaxie)

Referenzen

  • Massin et al. Syncope in Pediatric Patients presenting to an emergency department J Pediatr 2004;145:223-8
  • Fischer JW, Cho CS. Pediatric syncope: cases from the emergency department. Emerg Med Clin North Am 2010;28:501-16.
  • Moodley. Clinical Approach to Syncope in Children. Semin Pediatr Neurol 2013;20:12-17
  • Jarjour. Postural Tachycardia Syndrome in Children and Adolescents. Semin Pediatr Neurol 2013;20:18-26

Ausserdem:

  • Notfallhandbuch NZKJ Inselspital Bern, 2015
  • Royal Childrens Hospital Melbourne: Clinical Guidelines