Achtsame / positive Sprache auf der interdisziplinären Notfallstation im Kinderspital
InhaltsverzeichnisAutoren: M. Bieri (INS), S. Ettlin (TK)
Freigabe: Dr. A. Donas (INS)
Version: 06/2021
Hintergrund
Eine der Schlüsselaufgaben auf der Interdisziplinären Notfallstation (INS) ist das Management von Schmerz, Angst und Sorgen von Kindern und Eltern.
Neben Analgetika und Sedativa kann die Sprache als therapeutisches Instrument benutzt werden. Durch die richtige Auswahl an mündlicher Information resp. das Vermeiden von 'Reizbegriffen' kann viel Stress und Angst vermieden werden. Durch eine einfache Anpassung des Sprachmusters können potenziell verletzende oder negative Begriffe durch aufbauende, positive Formulierungen ersetzt werden.
Was belastet Kinder auf der INS?
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- Angst vor Unbekanntem (Geruch, elterliche Unsicherheit, Geräte/Utensilien,…)
- Angst vor Schmerz
Wie können wir die Kinder unterstützen?
- den Kindern Sicherheit und dass sie gut aufgehoben sind vermitteln (kurze klare Sätze):
- "ich kümmere mich um dich", "ich schaue zu dir", "wir schauen, dass es dir besser geht"
- Kinder direkt ansprechen und altersentsprechend informieren
- Kinder nicht anlügen
- Das geplante Vorgehen klar und achtsam kommunizieren
- Auch Eltern haben Angst ⇒ ängstliche Eltern ängstigen ihr Kind
- Eltern mitinformieren, damit sie Zuversicht und Sicherheit ausstrahlen
- Kompetenz und Zuversicht ausstrahlen durch offenes und verständliches Informieren auf einer sachlichen Ebene
- keine Überinformation, auf verunsichernde unbestätigte Verdachtsdiagnosen verzichten
Alter |
Entwicklungsthemen |
Ängste |
Techniken |
Säugling 0-12 Mt |
Kommunikation ohne Worte Bezugsperson Umgebung Fremden |
Unbekanntes |
Einbezug der Eltern für Untersuch (Körperkontakt, Kind auf Schoss) Sattes Kind Kontakt herstellen Warme Hände/Stethoskop |
Kleinkind 1-4 J |
Rezeptive Sprachkompetenz besser als expressive Autonomie |
Trennung Schmerz Dunkelheit Geräusche |
Untersuch bei Eltern (comfort positioning) Einbezug der Eltern Puppe/Stofftier untersuchen Auswahl anbieten (welches Ohr soll ich zuerst untersuchen?) Belohnung (Schatzkiste) |
Schulkind 5-10 J |
Logisches Denken |
Entstellung Funktionsverlust Schmerz Tod |
Erklären Achtsamkeit der Sprache ev Zustimmung einholen Teamplayer Bedanken für Mitarbeit Rücksicht auf Schamgefühle Belohnung (Schatzkiste) |
Teenager 10-16 J |
Selbstkontrolle Autonomie Peer-Akzeptanz |
Autonomieverlust Scham Tod |
Autonomie respektieren Vertraulichkeit garantieren Rücksicht auf Schamgefühle |
Negative Suggestion/Noceboeffekt
- Wir können den Patienten durch unsere Worte Schaden zufügen durch übermässige Sensibilisierung von unangenehmen Erfahrungen
- In einer Untersuchung wurde gezeigt, die Ankündigung vor der schmerzhaften Intervention und auch die mitfühlende Reaktion lösten mehr Schmerzen aus.
- Ziel: Verlagerung des Fokus weg vom Schmerz durch Aufgabe oder Ablenkung
- Bei Verneinungen hören Kinder zuerst den Begriff, der nach dem nicht/kein kommt und stellen ihn sich vor, bevor sie ihn in Gedanken durchstreichen können
- Beispiele:
Negativsuggestionen |
Fokus Problem/Krankheit |
positive Suggestion Fokus Wohlbefinden/ Heilung |
Negativsuggestion |
Achtung, es wird kalt
Jetzt gibt’s einen Stich
Es wird ein wenig brennen
Wir nähen die Wunde
Jetzt ist alles vorbei |
Wir putzen jetzt, das fühlt sich kühl an Wir legen dir eine Leitung /ein Schlüchli / Wir müssen noch etwas Blut abzapfen Dass du dich wieder wohlfühlst, werden wir… Es wird warm werden / Du spürst, dass es wirkt, nimmt mich wunder wie es für dich ist? Wir machen, dass die Wunde besser heilt/ Wir flicken die Wunde/ wir schliessen die Wunde mit kleinen Fäden
Die Behandlung ist beendet |
Verneinungen
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mach dir keine Sorgen Du musst keine Angst haben Es macht nicht weh Deine Mama geht nicht weg Zieh die Hand nicht weg |
Das machst du gut/ Du kannst das Es kommt schon gut Deine Mama bleibt hier Du darfst die Hand hier liegenlassen |
► zur Verdeutlichung: woran denkt man? |
Denk nicht an einen blauen Elefanten |
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Suggestive Fragen
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Ist dir nicht schlecht? Hast du keine Schmerzen? Tut es weh? Ist dir schlecht? Sind die Schmerzen erträglich? War es sehr schlimm? |
Wie geht es dir? Wie fühlt sich das an? Kann ich etwas für dich tun, damit du dich wohler fühlst? |
lügen beschönigen |
Es tut gar nicht weh
Es dauert nicht lange |
Du wirst einen Druck spüren, das wird nicht angenehm |
Mangelndes Teamverständnis |
Ach, der Chirurg schon wieder |
(vermeiden!) |
nonverbal |
Augenbrauen hochziehen |
(vermeiden!) |
schmerzbesetzte Worte ersetzen |
Schmerzen Attacke |
Unwohlsein Episode |
unsinnige Fragen (Um das Vertrauen des Kindes zu erhalten müsste ein 'Nein' akzeptiert werden) |
Darf ich dir in die Ohren schauen?
Darf ich dir den Bauch abtasten? |
Ich werde jetzt deine Ohren Untersuchen (ev. welches Ohr soll ich zuerst untersuchen?) Wir müssen dich komplett untersuchen, soll ich zuerst dein Herz abhören oder den Bauch abtasten? |
Verunsicherung |
Vielleicht hilft dir dieses Medikament/ Probieren wir das mal aus Irgendwie werden wir die Blutentnahme schaffen |
Vielen Kindern hat das Medikament geholfen. Ich bin gespannt, wie es bei dir ist. Zusammen schaffen wir das! |
unklare Begriffe vermeiden |
Entspanne dich! |
Du kannst es dir schön bequem machen |
Positive Suggestion – mögliche Techniken
- Suggestion
- du schaffst das, dann kannst du bald wieder nach Hause
- vielleicht hast du bereits bemerkt, wie sich dein Atem verändert
- ist es nicht wunderbar, wie einfach dir gelingt…
- Innerer Ruheort
- Wo warst du in den Ferien? war es warm? hast du im Meer gebadet?
- Du wärst wohl lieber nicht hier, wo wärst du jetzt gerne?
- …wie beim Schnorcheln geben wir dir eine Maske… hast du Fische gesehen?
- Maske riecht nach Erdbeeren… wie, wo, wann isst du Erdbeeren?
- In der Lachgassituation zudem wichtig:
- in der Suggestion (Ferien/schöner Ort) bleiben, ausschmücken,
- Eine designierte Person, nicht alle durcheinander
- Reframing
- Lautes Geräusch in anderen Kontext setzten:
- z.B. Bohrgeräusch beim Zahnarzt mit Lautstärke bei einer Baustelle vergleichen…
- Lochtuch: Vorhang vor dem Gesicht
- Lachgasmaske: Astronaut, Tauchermaske, Kampfpilot…
- Lautes Geräusch in anderen Kontext setzten:
Fazit
- Medizin tut manchmal weh
- Suggestionen können Schmerzintensität und Schmerzunannehmlichkeit modulieren
- Verständliche Information vermindert Angst
- Sprache und Handlung dem Alter des Kindes anpassen
- positiv motivieren, auf Können orientierte Suggestionen vermitteln
- auf 'nicht'-Sätze verzichten
- Auf Wörter wie Stechen, Brennen, Angst und Schmerzen verzichten
- Nur Erlaubnis für Untersuchung einholen, wenn ein Nein akzeptiert werden kann
- Gute Rahmenbedingungen schaffen
- Setting ist wichtig: Ablenkung durch Spielsachen, Bilderbücher, I-Pad, Musik
- was anfangs aufwendiger ist, kann viel Zeit und Eskalation durch Analgosedation sparen
Referenzen
- Achtsame Sprache im Umgang mit Kindern und Eltern im Spital, Wolf Langewitz, Universitätsspital Basel 06/2018
- Positive Suggestion in der Anästhesie, Die richtigen Worte finden Michael John, Universitätsspital Zürich 02/2017
- Controlling Attention to Nociceptive Stimuli with Working Memory, Legrain V, Crombez G, Mouraux A (2011), PLoS ONE 6(6): e20926. doi:10.1371/ journal.pone.0020926
- Fall nicht – Die Wirkung der negativen Sprache von Annalisa Neumeyer
- Hypnose in der kinderärztlichen Sprechstunde, Dr. med. Camilla Ceppi Cozzio, Pädiatrie Schweiz 03/2019
- Cilly Kupper, lic. phil. Psychotherapeutin FSP, Zentralschweizer Pflegesymposium 11/2013