Obstipation und Enkoprese

16.02.21 - Aktualisierte Version

30.08.19 - link auf Anwendungsrichtlinie YAL eingefügt

Inhaltsverzeichnis

Autor: Dr. med J. Spalinger, Dr. F. Righini
Version: 11/12, akt. 02/2021

Definition

Obstipation und Stuhlentleerungsstörung: Verzögerte oder erschwerte Defäkation

Funktionelle Obstipation (oder idiopathische Obstipation):

Bedingt durch schmerzhafte Stuhlent-leerungen → Kontraktion des externen Analsphincters auf Defäkationsreize (typische Halte-manöver) →  Entwicklung einer chronischen Obstipation → Automatisieren der Haltemanöver und Verminderung der sensorischen Reize durch die chronische Stuhlretention.

Funktionelle chronische Obstipation

Persistierende Symptomatik während ≥ 1 Monat beim Kleinkind < 4 Jahren und während ≥ 2 Monaten beim Kind >4 Jahre.

Enkoprese: unwillentlicher Stuhlverlust oder Inkontinenz infolge chronischer Obstipation ("Über-laufenkoprese").

Diagnostik

Anamnese

  • Zeitpunkt des Beginnes der Obstipation
  • Bauchschmerzen, akut oder chronisch  mit Besserung nach erfolgtem Stuhlgang
  • Schmerzhafte Stuhlentleerungen von meist harten Stuhlballen
  • Gross-volumige Stuhlmengen, können Toilette verstopfen
  • Gefühl der unvollständigen Stuhlentleerung
  • Analfissuren mit Frischblutauflagerungen im Stuhl
  • Geblähtes Abdomen, Flatulenz
  • Appetitminderung
  • Palpable Stuhlmassen im Unterbauch („Tumor in abdomine“)
  • Stuhlschmieren, Einkoten in die Unterwäsche
  • Haltemanöver (Überkreuzen der Beine, auf Zehenspitzen gehen, kauernde Stellungen, oft im Versteckten), oft als Pressversuche fehlinterpretiert.
  • Harnverhalt; Enuresis (CAVE: Anticholinergika eingesetzt bei Enuresis können die Obstipation aggravieren)
  • CAVE: akuter/atypischer Beginn und rasche Progredienz der Symptomatik: IMMER somatische Erkrankung ausschliessen (Raumforderung, entzündliche Prozesse)

Klinische Untersuchung

  • Abdomen: gebläht, palpable Stuhlmassen
  • Analinspektion: Position des Anus, Analsphinkterrelief, Fissuren, Marisken, perianales Erythem, Stuhl verschmiert?
  • Rektaluntersuchung (nicht bei traumatisierten Kind): Sphinktertonus, Stenosen, rektale Füllung der Ampulle, Stuhlkonsistenz, Weite der Ampulle
  • Rücken: Sakralgrübchen, Haare?
  • Neurostatus: perianaler Reflex und Sensibilitität, Sehnenreflexe, Cremasterreflex, Muskeltonus untere Extremität?

Zusatzuntersuchungen

Die Diagnose einer funktionellen Obstipation kann meistens aufgrund von Anamnese und Status gestellt werden.

Labor

Bei therapierefraktärer Obstipation mit guter Compliance: Schilddrüsenhormone, Zöliakie-AK, Calcium, Kalium, ggf. Schweisstest

Bildgebung

Ultraschall: Erstuntersuchung bei unklarer abdomineller Raumforderung

Abdomen-Röntgenbild (1 Ebene) ® bei Unklarheiten über Ausmass der Stuhlretention, Beurteilung der ossären lumbosakralen Strukturen, Ausbildung eines Megacolon.

Kolon-Kontrasteinlauf ® bei frühem Symptombeginn und Therapieresistenz. Zur Beurteilung allfälliger Stenosen, fehlender Relaxation, Analwinkel und Ausbildung eines Megacolons.

 

Anorektale Druckmessung: Zur Abgrenzung fehlender inhibitorischer rektoanaler Reflex (Hirschsprung)/ sphinktäre Achalasie und sphinktärer Dyssynergismus

 

Rektumschleimhautbiopsie bei hochgradigem V.a. Hirschsprung

Differentialdiagnose – Organische Ursachen

  • Anorektale Fehlbildungen: Analstenose, Anorektale Malformationen, Anteroposition des Anus, erworbene Stenosen (St.n. NEC)
  • Tumor (Sakrales Teratom)
  • Intestinale Innerverationsstörungen: M. Hirschsprung, Neuronale Intestinale Dysplasie (NID), sphinktäre Achalasie
  • Neurologische Ursachen: Spina bifida, MMC, tethered cord
  • Muskulär und neurogen bedingte Motilitätsstörung: Gastroschisis, Malrotation, Prune belly Syndrom, pädiatrische intestinale Pseudoobstruktion (PIPO), inertes Kolon
  • Metabolische Ursachen: Hypothyreose, Hypokaliämie, Hyperkalzämie, CF, D.M., MEN 2B
  • Gastrointestinal: Zöliakie, Kuhmilcheiweissintoleranz
  • Medikamente: Opiate, Anticholinergika (z.b. bei Enuresis eingesetzt), Eisenpräparate, Chemotherapeutika, Antidepressiva, Vitamin D Intoxikation
  • Infektiös/Inflammatorisch: Streptokokken-Anitis, Spondylodiszitis

 

Jenseits der Neonatalperiode liegt in den meisten Fällen eine funktionelle Obstipation vor. Für ein organisches Leiden spricht ein Symptombeginn praktisch ab Geburt, ev. mit verzögertem Abgang von Mekonium. Haltemanöver und Stuhlschmieren sind häufig mit  funktioneller Obstipation assoziiert.

Therapie

Grundpfeiler der Obstipationsbehandlung

 

1. Aufklärung

2. Intensives Abführen zur Stuhlentleerung (Desimpaktion):

  • Voraussetzung für eine erfolgreiche Obstipationbehandlung bei Retention von grossen Stuhlmengen ist eine leere Ampulle
  • Polyethylenglycol-Lösungen (Macrogolum) (ggf. via Magensonde), und/oder Einläufe oder Klistiere

3. Erhaltungstherapie zur Vermeidung erneuter Stuhlakkumulation

  • Ziel der Behandlung: Regelmässiger weicher, schmerzfreier Stuhlgang.
  • Regelmässige Laxantiengabe (peroral, Einläufe oder Suppositorien zurückhaltend wegen Gefahr sekundärer Traumatisierung)
  • Medikamentenliste und Dosierung siehe Tab
  • Diätetische Massnahmen: Altersentsprechend empfohlene Trinkmenge und Nahrungsfasern (Alter in Jahren +5g/Tag Nahrungsfasern bei Kindern >2 Jahre)
  • Im Säuglingsalter <6 Monaten bei therapierefraktären Situationen Versuch 2-4 Wochen mit extensiv hydrolisierter Milch (Althera, Alfaré, Aptamil pepti syneo)
  • Prebiotika und Probiotika mit positivem Effekt, allerdings Evidenz schwach: auf Wunsch zusätzliche Verabreichung zu Macrogolum.

4. Verhaltensänderung:

  • Primär Reduktion von Angstkomponente und Rückhaltemanöver durch perorale Laxantientherapie (Stuhlweichmacher), initial somit KEIN forciertes Toilettentraining empfohlen wenn Rückhaltemanöver vorhanden.
  • Sekundär Konditionierung eines normalen Stuhlverhaltens durch Toilettentraining (2-3 x täglich auf Toilette, nach dem Essen, während 5 min, in angenehmer Position). Positives Unterstützen durch Belohnungssystem.

MERKE

  • Einläufe eignen sich als Sofortmassnahme, jedoch nicht als Dauertherapie bei chronischer Obstipation (Traumatisierung). Bei heftiger Abwehr des Kindes, Gabe in Sedation.
  • Häufigste Gründe für Therapieversagen sind Non-Compliance mit der Medikamenteneinnahme und Toilettentraining, sowie ein zu frühes Absetzen der Laxantien.

Indikationen, Kontraindikationen und Dosierungen der gebräuchlichsten Laxantien gemäss Swissmedics und ESPGHAN/NASPGHAN Guidelines 2014

Bessere Übersicht: .PDF

Wirkstoff

Handelpräparat

Galenik

Dosierung

NW und KI

Bemerkung

Lactulose

 

Duphalac® Sirup, 6.7g/10ml

Gatinar® Sirup

6.7g/10ml

Rudolac® Sirup

6.7g/10ml

Importal® Sirup, Pulver (6.7g/10ml; 10g/Sachet@15ml Sirup)

1-2 g/kg/d in 1-2 ED;entsprechend 1.5-3ml/kg/d

steigern gemäss Wirkung und Verträglichkeit, max. 2x20ml/Tag

Blähungen, Bauchkrämpfe, Flatulenz

Osmotisch wirksames, synthetisches Dissacharide.

Geeignet zur Erhaltungstherapie. Längerfristig gut toleriert.

Paraffinöl

 

 

 

 

Reines Paraffinöl

Paragol N® Sirup

 

Paragar® Sirup enthält Phenolphthalein (Darmstimulans)

Erhaltungstherapie:

≥ 18 Mt: 5-10 ml po

≥ Jahre: 10-45 ml po  

Übelkeit

Pneumonitis bei Aspiration

 

Kontraindikation:

Kinder <1j, GOER

Gleitmittel. Heraussickern aus Anus bei zu hoher Dosierung. Langzeittherapie gut toleriert

Macrogolum

4000 (Laxipeg®) oder Macrogolum 3350 (Movicol®)

 

 

 

 

 

Laxipeg Plv®  aromafrei (Beutel 10 g, Dose 200 g)

Movicol junior® Sachet

(Beutel 6.5g)

Movicol® Sachet

(Beutel 13g)

Macrogolum 4000 Pheur pulvis, Reinsubstanz (wird am LUKS nicht mehr hergestellt, muss als Magistralrezeptur verordnet werden, z.b. Firma Hänseler)

 

 

 

Initialdosis:

0.4g/kg/Tag

 

Desimpaktion:

1-1.5g/kg/Tag während 6 Tagen; siehe Schema Kompendium "Movicol Desimpaktion"

 

 

 

Erhaltungstherapie

0.2–0.8 g/kg/Tag, bei Rückhaltemanöver oft höhere Dosen erforderlich

 

:

 

Anwendung: 1 Beutel Movicol Junior/ Laxipeg in 70-100ml Flüssigkeit anrühren. Im Kühlschrank 24 Stunden haltbar

 

Bei nasogastrischer Sonde: 20 ml/kg/Std für 4 Std pro Tag

 

 

 

 

 

 

Blähungen, Bauchschmerzen, Flatulenz

 

Im Säuglingsalter <6 Monaten nicht empfohlen (fehlende Daten), ab 6 Monaten als off-label Gebrauch möglich.

Lactulose=erste Wahl im Säuglingsalter

Osmotisch aktiv, aus

Macrogolum  und Elektrolyten bestehend. Langzeittherapie gut toleriert.

 

Stimulanzien und Kontaktlaxantien

Dulcolax® (Bisacodyl p.o./p.r.)

Darmol®, Zeller-Feigensirup®

(Sennaglykoside)

Picoprep®

(Natrium-picosulfat)

 

 

Als 2.Linientherapie, in der Regel off-label, bei Therapie-refraktären Situationen; gehört durch den Spezialisten verordnet und kontrolliert

Klistier-"PC"

 

 

 

 

 

Rektaler Einlauf phosphatfrei Bichsel®

100 ml

Sorbitolum 19.85 g

Natriumdioctylsulfosuccinat  50 mg

 

 

 

 

 

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Microlax Klist® 1 ml

Sorbitol 625 mg

 

Natriumcitrat 90mg

Natriumlaurylsulfoacetat 9mg

Hilfsstoffe Sorbinsäure, Glycerol

 

Indikation

Dickdarm/Enddarmreini-gung vor Diagnostik oder OP

Einleitung Behandlung einer schweren Obstipation

Üebliche Dosierung:

< 2 Jahre: 50 ml (1/2 Einlauf

>2 Jahre 100 ml

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Microlax®

Kinder > 3 J:: Rektale Einführung eines Tuben­inhaltes.

Kindern unter 3 Jahren Kanüle nur bis zur Hälfte ihrer Länge eingeführt. Ein Tropfen des Tubeninhaltes auf die Kanüle gestrichen genügt als Gleitmittel.

Kontraindikation:

Blutungen im Analbereich und

rektale Blutungen, Neutropenie, Immunsuppressiva

 

Gebrauchsanweisung beachten

Enthält Sorbitol und Doccusat

Enthält KEIN PHOSPHAT

 

Neu: Alternative zu dem nicht mehr erhältlichen Yal-Produkt, Verordnung im Epic unter 'rektaler Einlauf'

Literatur

  • Tabbers et al; Evaluation and treatment of functional constipation in infants and children: evidence-based recommendations from ESPGHAN and NASPGHAN; J Pediatr Gastroenterol Nutr; 2014; 58(2):258-74.