Obstipation und Enkoprese
16.02.21 - Aktualisierte Version
- Definition
- Diagnostik
- Differentialdiagnose – Organische Ursachen
- Therapie
- MERKE
- Indikationen, Kontraindikationen und Dosierungen der gebräuchlichsten Laxantien gemäss Swissmedics und ESPGHAN/NASPGHAN Guidelines 2014
- Literatur
Autor: Dr. med J. Spalinger, Dr. F. Righini
Version: 11/12, akt. 02/2021
Definition
Obstipation und Stuhlentleerungsstörung: Verzögerte oder erschwerte Defäkation
Funktionelle Obstipation (oder idiopathische Obstipation):
Bedingt durch schmerzhafte Stuhlent-leerungen → Kontraktion des externen Analsphincters auf Defäkationsreize (typische Halte-manöver) → Entwicklung einer chronischen Obstipation → Automatisieren der Haltemanöver und Verminderung der sensorischen Reize durch die chronische Stuhlretention.
Funktionelle chronische Obstipation
Persistierende Symptomatik während ≥ 1 Monat beim Kleinkind < 4 Jahren und während ≥ 2 Monaten beim Kind >4 Jahre.
Enkoprese: unwillentlicher Stuhlverlust oder Inkontinenz infolge chronischer Obstipation ("Über-laufenkoprese").
Diagnostik
Anamnese
- Zeitpunkt des Beginnes der Obstipation
- Bauchschmerzen, akut oder chronisch mit Besserung nach erfolgtem Stuhlgang
- Schmerzhafte Stuhlentleerungen von meist harten Stuhlballen
- Gross-volumige Stuhlmengen, können Toilette verstopfen
- Gefühl der unvollständigen Stuhlentleerung
- Analfissuren mit Frischblutauflagerungen im Stuhl
- Geblähtes Abdomen, Flatulenz
- Appetitminderung
- Palpable Stuhlmassen im Unterbauch („Tumor in abdomine“)
- Stuhlschmieren, Einkoten in die Unterwäsche
- Haltemanöver (Überkreuzen der Beine, auf Zehenspitzen gehen, kauernde Stellungen, oft im Versteckten), oft als Pressversuche fehlinterpretiert.
- Harnverhalt; Enuresis (CAVE: Anticholinergika eingesetzt bei Enuresis können die Obstipation aggravieren)
- CAVE: akuter/atypischer Beginn und rasche Progredienz der Symptomatik: IMMER somatische Erkrankung ausschliessen (Raumforderung, entzündliche Prozesse)
Klinische Untersuchung
- Abdomen: gebläht, palpable Stuhlmassen
- Analinspektion: Position des Anus, Analsphinkterrelief, Fissuren, Marisken, perianales Erythem, Stuhl verschmiert?
- Rektaluntersuchung (nicht bei traumatisierten Kind): Sphinktertonus, Stenosen, rektale Füllung der Ampulle, Stuhlkonsistenz, Weite der Ampulle
- Rücken: Sakralgrübchen, Haare?
- Neurostatus: perianaler Reflex und Sensibilitität, Sehnenreflexe, Cremasterreflex, Muskeltonus untere Extremität?
Zusatzuntersuchungen
Die Diagnose einer funktionellen Obstipation kann meistens aufgrund von Anamnese und Status gestellt werden.
Labor
Bei therapierefraktärer Obstipation mit guter Compliance: Schilddrüsenhormone, Zöliakie-AK, Calcium, Kalium, ggf. Schweisstest
Bildgebung
Ultraschall: Erstuntersuchung bei unklarer abdomineller Raumforderung
Abdomen-Röntgenbild (1 Ebene) ® bei Unklarheiten über Ausmass der Stuhlretention, Beurteilung der ossären lumbosakralen Strukturen, Ausbildung eines Megacolon.
Kolon-Kontrasteinlauf ® bei frühem Symptombeginn und Therapieresistenz. Zur Beurteilung allfälliger Stenosen, fehlender Relaxation, Analwinkel und Ausbildung eines Megacolons.
Anorektale Druckmessung: Zur Abgrenzung fehlender inhibitorischer rektoanaler Reflex (Hirschsprung)/ sphinktäre Achalasie und sphinktärer Dyssynergismus
Rektumschleimhautbiopsie bei hochgradigem V.a. Hirschsprung
Differentialdiagnose – Organische Ursachen
- Anorektale Fehlbildungen: Analstenose, Anorektale Malformationen, Anteroposition des Anus, erworbene Stenosen (St.n. NEC)
- Tumor (Sakrales Teratom)
- Intestinale Innerverationsstörungen: M. Hirschsprung, Neuronale Intestinale Dysplasie (NID), sphinktäre Achalasie
- Neurologische Ursachen: Spina bifida, MMC, tethered cord
- Muskulär und neurogen bedingte Motilitätsstörung: Gastroschisis, Malrotation, Prune belly Syndrom, pädiatrische intestinale Pseudoobstruktion (PIPO), inertes Kolon
- Metabolische Ursachen: Hypothyreose, Hypokaliämie, Hyperkalzämie, CF, D.M., MEN 2B
- Gastrointestinal: Zöliakie, Kuhmilcheiweissintoleranz
- Medikamente: Opiate, Anticholinergika (z.b. bei Enuresis eingesetzt), Eisenpräparate, Chemotherapeutika, Antidepressiva, Vitamin D Intoxikation
- Infektiös/Inflammatorisch: Streptokokken-Anitis, Spondylodiszitis
Jenseits der Neonatalperiode liegt in den meisten Fällen eine funktionelle Obstipation vor. Für ein organisches Leiden spricht ein Symptombeginn praktisch ab Geburt, ev. mit verzögertem Abgang von Mekonium. Haltemanöver und Stuhlschmieren sind häufig mit funktioneller Obstipation assoziiert.
Therapie
Grundpfeiler der Obstipationsbehandlung
1. Aufklärung
2. Intensives Abführen zur Stuhlentleerung (Desimpaktion):
- Voraussetzung für eine erfolgreiche Obstipationbehandlung bei Retention von grossen Stuhlmengen ist eine leere Ampulle
- Polyethylenglycol-Lösungen (Macrogolum) (ggf. via Magensonde), und/oder Einläufe oder Klistiere
3. Erhaltungstherapie zur Vermeidung erneuter Stuhlakkumulation
- Ziel der Behandlung: Regelmässiger weicher, schmerzfreier Stuhlgang.
- Regelmässige Laxantiengabe (peroral, Einläufe oder Suppositorien zurückhaltend wegen Gefahr sekundärer Traumatisierung)
- Medikamentenliste und Dosierung siehe Tab
- Diätetische Massnahmen: Altersentsprechend empfohlene Trinkmenge und Nahrungsfasern (Alter in Jahren +5g/Tag Nahrungsfasern bei Kindern >2 Jahre)
- Im Säuglingsalter <6 Monaten bei therapierefraktären Situationen Versuch 2-4 Wochen mit extensiv hydrolisierter Milch (Althera, Alfaré, Aptamil pepti syneo)
- Prebiotika und Probiotika mit positivem Effekt, allerdings Evidenz schwach: auf Wunsch zusätzliche Verabreichung zu Macrogolum.
4. Verhaltensänderung:
- Primär Reduktion von Angstkomponente und Rückhaltemanöver durch perorale Laxantientherapie (Stuhlweichmacher), initial somit KEIN forciertes Toilettentraining empfohlen wenn Rückhaltemanöver vorhanden.
- Sekundär Konditionierung eines normalen Stuhlverhaltens durch Toilettentraining (2-3 x täglich auf Toilette, nach dem Essen, während 5 min, in angenehmer Position). Positives Unterstützen durch Belohnungssystem.
MERKE
- Einläufe eignen sich als Sofortmassnahme, jedoch nicht als Dauertherapie bei chronischer Obstipation (Traumatisierung). Bei heftiger Abwehr des Kindes, Gabe in Sedation.
- Häufigste Gründe für Therapieversagen sind Non-Compliance mit der Medikamenteneinnahme und Toilettentraining, sowie ein zu frühes Absetzen der Laxantien.
Indikationen, Kontraindikationen und Dosierungen der gebräuchlichsten Laxantien gemäss Swissmedics und ESPGHAN/NASPGHAN Guidelines 2014
Bessere Übersicht: .PDF
Wirkstoff |
Handelpräparat Galenik |
Dosierung |
NW und KI |
Bemerkung |
Lactulose
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Duphalac® Sirup, 6.7g/10ml Gatinar® Sirup 6.7g/10ml Rudolac® Sirup 6.7g/10ml Importal® Sirup, Pulver (6.7g/10ml; 10g/Sachet@15ml Sirup) |
1-2 g/kg/d in 1-2 ED;entsprechend 1.5-3ml/kg/d steigern gemäss Wirkung und Verträglichkeit, max. 2x20ml/Tag |
Blähungen, Bauchkrämpfe, Flatulenz |
Osmotisch wirksames, synthetisches Dissacharide. Geeignet zur Erhaltungstherapie. Längerfristig gut toleriert. |
Paraffinöl
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Reines Paraffinöl Paragol N® Sirup
Paragar® Sirup enthält Phenolphthalein (Darmstimulans) |
Erhaltungstherapie: ≥ 18 Mt: 5-10 ml po ≥ Jahre: 10-45 ml po |
Übelkeit Pneumonitis bei Aspiration
Kontraindikation: Kinder <1j, GOER |
Gleitmittel. Heraussickern aus Anus bei zu hoher Dosierung. Langzeittherapie gut toleriert |
Macrogolum 4000 (Laxipeg®) oder Macrogolum 3350 (Movicol®)
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Laxipeg Plv® aromafrei (Beutel 10 g, Dose 200 g) Movicol junior® Sachet (Beutel 6.5g) Movicol® Sachet (Beutel 13g) Macrogolum 4000 Pheur pulvis, Reinsubstanz (wird am LUKS nicht mehr hergestellt, muss als Magistralrezeptur verordnet werden, z.b. Firma Hänseler)
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Initialdosis: 0.4g/kg/Tag
Desimpaktion: 1-1.5g/kg/Tag während 6 Tagen; siehe Schema Kompendium "Movicol Desimpaktion"
Erhaltungstherapie 0.2–0.8 g/kg/Tag, bei Rückhaltemanöver oft höhere Dosen erforderlich
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Anwendung: 1 Beutel Movicol Junior/ Laxipeg in 70-100ml Flüssigkeit anrühren. Im Kühlschrank 24 Stunden haltbar
Bei nasogastrischer Sonde: 20 ml/kg/Std für 4 Std pro Tag
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Blähungen, Bauchschmerzen, Flatulenz
Im Säuglingsalter <6 Monaten nicht empfohlen (fehlende Daten), ab 6 Monaten als off-label Gebrauch möglich. Lactulose=erste Wahl im Säuglingsalter |
Osmotisch aktiv, aus Macrogolum und Elektrolyten bestehend. Langzeittherapie gut toleriert.
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Stimulanzien und Kontaktlaxantien |
Dulcolax® (Bisacodyl p.o./p.r.) Darmol®, Zeller-Feigensirup® (Sennaglykoside) Picoprep® (Natrium-picosulfat) |
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Als 2.Linientherapie, in der Regel off-label, bei Therapie-refraktären Situationen; gehört durch den Spezialisten verordnet und kontrolliert |
Klistier-"PC"
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Rektaler Einlauf phosphatfrei Bichsel® 100 ml Sorbitolum 19.85 g Natriumdioctylsulfosuccinat 50 mg
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Microlax Klist® 1 ml Sorbitol 625 mg
Natriumcitrat 90mg Natriumlaurylsulfoacetat 9mg Hilfsstoffe Sorbinsäure, Glycerol
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Indikation Dickdarm/Enddarmreini-gung vor Diagnostik oder OP Einleitung Behandlung einer schweren Obstipation Üebliche Dosierung: < 2 Jahre: 50 ml (1/2 Einlauf >2 Jahre 100 ml __________________ Microlax® Kinder > 3 J:: Rektale Einführung eines Tubeninhaltes. Kindern unter 3 Jahren Kanüle nur bis zur Hälfte ihrer Länge eingeführt. Ein Tropfen des Tubeninhaltes auf die Kanüle gestrichen genügt als Gleitmittel. |
Kontraindikation: Blutungen im Analbereich und rektale Blutungen, Neutropenie, Immunsuppressiva
Gebrauchsanweisung beachten |
Enthält Sorbitol und Doccusat Enthält KEIN PHOSPHAT
Neu: Alternative zu dem nicht mehr erhältlichen Yal-Produkt, Verordnung im Epic unter 'rektaler Einlauf' |
Literatur
- Tabbers et al; Evaluation and treatment of functional constipation in infants and children: evidence-based recommendations from ESPGHAN and NASPGHAN; J Pediatr Gastroenterol Nutr; 2014; 58(2):258-74.