Nephrotisches Syndrom
05.04.18 - Kongruenz hergestellt zwischen den Bezeichnungen der gewünschten Laborparameter und der Laborkartei
21.11.17 - Aktualisierungen in Diagnostik, Literatur, Rückfalltherapie
- Definition
- Formen
- Steroid-sensibles idiopathisches nephrotisches Syndrom (INS)
- Diagnostik
- Therapie
- Prognose
- Komplikationen
- Weitere Massnahmen
- Medikamente: Stadien der Behandlung des steroid-sensiblen INS
- Internationale Definition des Rezidivs
Autor: T. J. Neuhaus
Version: 12/12, Rev: 06/14, 11/17
Definition
- Proteinurie > 1g/m2/24h
- Hypoalbuminämie < 25g/l
- Oedeme
PS: Nephrotisches Syndrom (NS) ist keine Diagnose, sondern eine Beschreibung.
Formen
-
primär:
- Idiopathisches NS:
- steroid sensibel (Histologie meist Minimal Change)
- steroid resistent (meist FSGS)
- Genetik:
- Nephrin, Podocin, WT1, PLCE1, …
- syndromal: z.B. Spondyloepiphyseale Dysplasie …
- Idiopathisches NS:
-
sekundär:
- im Rahmen von Systemerkrankungen (Vasculitis …)
- Infektionen: Malaria, Hepatitis B ..
- Medikamenten-Nebenwirkungen: Penicillamin …
Steroid-sensibles idiopathisches nephrotisches Syndrom (INS)
Einteilung/Manifestation
Knaben: Mädchen = 2:1; Häufigkeit (Prävalenz) = 1 : 6000
Alter: 2-6 Jahre
Familiäre Häufung:
- Eineiige Zwillinge von INS Patienten gehäuft betroffen
- Geschwister von INS Patienten: 3% Risiko (somit gehäuft im Vgl. zu Normalbevölkerung)
Diagnostik
Anamnese
Oft im Anschluss an eine virale Infektion. Beginn plötzlich über 1-3 Tage oder langsam über 1-3 Wochen. Erstmanifestation meist Oedeme: Augenlider, (morgendliche Lidödeme = sensitivstes Zeichen, häufig als allergische Reaktion fehldiagnostiziert), Unterschenkel, Skrotum … Gewichtszunahme. Allergie-, resp. Atopieanamnese oft positiv. Familienanamnese: Nierenkrankheiten?
Klinik
Oedeme (mild bis generalisiert), Scrotalödem, Pleuraergüssse, Aszites, Anorexie, Erbrechen, Bauchschmerzen (DD Hypovolämie, Peritonitis). Hypertonie und Makrohämaturie sind selten.
Zeichen für Hypovolämie: Klinisch= Hypotonie, peripher kühl (Temperaturdifferenz zwischen Körperkern und Peripherie); im Labor (s. auch unten): Hk/Hb hoch, Kreatinin und Harnsäure erhöht, Urin-Natrium tief
Cave: 1° Präsentation mit Pneumokokkenperitonitis
Radiologie
Sonographie:
1) Abdomen: Frage nach Nierengrösse, Echogenität
2) Pleuraerguss
Labor
- Blut: Blutbild, Na (cave: Pseudohyponatriämie), K, Cl, Ca, Mg, Ph, CRP, Hst, Krea, Harnsäure ASAT, ALAT, aP, Gerinnung (Quick, a-PTT, Fibrinogen), BGA, Cholesterin, Triglyceride, Eiweisselektrophorese, C3, C4, IgA, IgG, IgM, IgE
- Auto-Antikörper: Antistreptolysin-O, ANA, Anti-dsDNS, ANCA, Antikörper gegen glom. Basalmembran (Anti-GBM-Ak)
- Urin: Sediment, Phasenkontrast, Spezifisches Gewicht; 1 x 24-h Urin sammeln für Eiweiss, Kreatinin, Na.
Therapie
Allgemein
- mässige Einschränkung der Totalflüssigkeit auf ca. 2/3 der Norm. Patienten trinken meist nur wenig - und haben auch nur wenige Miktionen (1-3) pro Tag
- Cave: Hypovolämie und prärenale Niereninsuffizienz trotz Ödemen
- Na leicht einschränken (kein zusätzliches Salz auf den Tisch); normale Eiweisszufuhr; keine zusätzliche Calcium-/ Vitamin D Zufuhr
- keine Bettruhe / keine Antikoagulation / keine Antibiotikaprophylaxe
- Diuretika: isolierte Gabe (ohne Albumin) restriktiv (Cave: Risiko der Thrombose)
- Albumin iv sehr restriktiv: Ausnahme: 5% bei manifester Hypovolämie (20 ml/kg über 1h); extrem selten 20% bei massiven Ödemen in Kombination mit Lasix (nie nachts; verboten bei erhöhtem Plasma-Kreatinin)
Immunsuppression (s. Tabelle am Schluss)
Prognose
- 10%: keine Rückfälle.
- 20%: vereinzelte Rückfälle
- 20%: häufige Rückfälle
- 50%: Langzeit-Therapieabhängig
Komplikationen
Peritonitis / Sepsis: bei klinischem Verdacht möglichst Diagnostik mit Aszitespunktion, Blutkultur und Pneumokokken-AG, dann 1° Therapie mit Rocephin/ Clamoxyl iv (Pneumokokken, ev. auch Enterokokken…)
- Prophylaxe mit Pneumokokkenimpfung (= Prevenar-13®), falls nicht geimpft: 1. Impfung während Hospitalisation (vor/nach Remission), auch unter Prednison: Nachimpfungsschema gemäss Impfplan BAG).
Thrombose: selten, aber manchmal fatal/letal (Hirn, Lungenembolie …) auch trotz Prophylaxe
- Prophylaxe: nicht routinemässig; aber cave: AT III kann tief sein , dann Effekt geringer
- falls Kreatinin < 100 umol/l und Oedeme nicht zu massiv: LMWH s.c.
- keine Bettruhe! Aspirin und Stützstrümpfe nützen wsh. nichts (keine Evidenz)
- Verhinderung der Hypovolämie / i.v. Albumin 5% (normalisiert auch Tc-Funktion !)
- Therapie: Heparin iv, meist gefolgt von oraler AK mit Marcoumar oder LMWH s.c. für 3 Monate
- Verlaufsuntersuchungen: Thrombophiliescreening bei allen Patienten, wenn in Remission: APC-Resistenz, Antithrombin, Protein C / S und exakte FA (Thrombosen <40y?); allerdings bisher keine Evidenz, dass 1° Thrombophilie tatsächlich ein relevanter Risikofaktor für Thrombose ist
Weitere Massnahmen
- Ophthalmologische Untersuchung: Augangsuntersuchung
-
Information der Patienten / Eltern (Unterlagen zu beziehen bei Neuhaus)
- „Milchbüchlein“: Medik-Dosierung und Proteinurie mittels Albustix etc.
- Broschüre „Nephrotisches Syndrom“ (Markus Kemper)
- Information über Langzeitoutcome: Rüth EM, Kemper MJ, Leumann EP, Laube GF, Neuhaus TJ (2005) Children with steroid-sensitive nephrotic syndrome come of age: Long-term J Pediatr 147:202-207
Definition
Diagnostik
Medikamente: Stadien der Behandlung des steroid-sensiblen INS
Grad | Stadium | Behandlung |
1 | 1. Schub |
Prednison oder Prednisolon (immer in 1 Dosis morgens)
|
2 | erste 2 Rückfälle | Predniso(lo)n 2 mg/kg pro Tag bis Urin 3 Tage eiweissfrei, dann 1.3 mg/kg jeden 2. Tag für 6 Wochen, dann über 1 Monat ausschleichen |
3 | Häufige Rückfälle oder Steroid-Abhängigkeit | Predniso(lo)n-Dauerbehandlung 0.1-0.5(-1.0) mg/kg jeden 2. Tag während 3-6 Monaten, dann langsam ausschleichen "individuelle Steroid-schwelle"? = wieviel Prednison braucht jeder Patient |
4 | Rückfall trotz Prednison 0.5 mg/kg jeden 2. Tag |
Levamisol (hergestellt durch Apotheke LUKS) 2.5 mg/kg jeden 2. Tag während 18-36 Monaten. Falls dennoch Rezidive, Versuch mit täglicher (unveränderter) Dosis |
5 | Rückfall trotz (1) Pred > 0.5 mg/kg jeden 2. Tag und Prednison-Nebenwirkungen oder (2) trotz Pred > 1mg/kg jeden 2. Tag |
Cyclophosphamid = Endoxan (nur im Spezialfall) 2-2.5 mg/kg pro Tag während 12 Wochen (kumulative = Total-Dosis 168-210 mg/kg) |
6 | Rückfall nach Cyclophosphamid | wie oben 2-3(-4) |
7 | Rückfall, trotz Prednison > 0.5 mg/kg jeden 2. Tag |
Cyclosporin A (CyA) = Sandimmun-Neoral 5 mg/kg pro Tag x 3 Jahre (vorherige Nieren-Biopsie idR nicht nötig), regelmässige Kontrolle der Nierenfunktion. Zieltalspiegel <100ng/ml |
8 | Rückfall unter Cyclosporin A | zusätzlich Prednison 0.1-0.5 mg/kg jeden 2. Tag |
9 | Rückfall unter CyA und Prednison oder Nebenwirkungen von Prednison oder CyA |
Cellcept (Mycophenolat), Prograf (Tacrolimus) oder Rituximab: Anti-CD 20 = B-Lymphozyten: Dosis 1 x 375 mg iv; wiederholte Gabe je nach Verlauf Vorsichtsmassnahmen gemäss Merkblatt; s. Beilage (vor Gabe FACS) |
10 | Erneuter Rückfall ... | ???? |
Internationale Definition des Rezidivs
= Auftreten von mindestens 2+ im Albustix an 3 aufeinanderfolgenden Tagen
- Therapeutisch gesehen ist das internationale Rezidiv keine zwingende Indikation zur Therapie-intensivierung: Therapie in der Regel dem individuellen Patienten anpassen
- Immunsuppressive "Prophylaxe" bei Infektionen und/oder Fieber zur Prävention eines Infekt-getriggerten Rückfalls)
- Patient unter Dauertherapie mit alternierender (= jeden 2. Tag) Dosis: bei Anzeichen einer Infektion während 5 Tagen, resp. bis Infektion ausgeheilt Dosis täglich verabreichen
- Patient ohne Prednis(ol)on: während 5 Tagen Predniso(ol)n 1 mg/kg täglich