Häufige Symptome in der Pädiatrischen Palliative Care

29.04.21 - aktualisierte Druckversion (zuletzt hinzugefügtes Kapitel)

05.04.21 - Kapitel Fatigue und Schlaflosigkeit noch eingefügt

05.04.21 - ergänzt, wo das Kinder-Palliativbucheinsehbar ist (Buch im Kinderspital auf Station 2 West und der IPS einsehbar.)

Inhaltsverzeichnis

Autor: Team PPC (sh AutorInnen jeweilige Kapitel)
Version: 07/2021

Das Dokument dient als Übersicht und Zusammenfassung in der Pädiatrischen Palliative Care. Diese Übersicht ersetzt nicht die Fachkompetenz über einschlägige Referenzwerke

Einleitung

In der palliativen Betreuung ist es wichtig, dass Begleitsymptome rechtzeitig erkannt und behandelt werden. Unzureichend beherrschte Symptome korrelieren mit dem Risiko einer schwierigen oder auch pathologischen Trauerverarbeitung durch die Familie (Van der Geest, 2014 in Kinder-Palliativmedizin Essentials, S. 25).

Im Folgenden möchten wir, das Pädiatrische Palliative Care Team Luzern, die am häufigsten anzutreffenden Symptome in der palliativen Betreuung vorstellen und Lösungsansätze bzw. Unterstützungsmöglichkeiten aufzeigen.

Die vorliegende Symptomübersicht richtet sich an alle an der Behandlung und Betreuung beteiligten Disziplinen und soll als Hilfestellung und Nachschlagewerk in der Pädiatrischen Palliative Care dienen. Es ersetzt nicht die jeweilige Fachkompetenz über einschlägige Referenzwerke.

Die beschriebenen Symptome und deren Behandlung orientieren sich hauptsächlich an folgendem Buch: Kinder-Palliativmedizin Essentials. Das Wichtigste für die Palliative Care bei Kindern, Jugendlichen und ihren Familien 2018, Streuli Jürg, Bergsträsser Eva, Flury Maria, Satir Aylin (dieses Buch ist im Kinderspital auf Station 2 West und der IPS einsehbar).

Die jeweilig angegebenen Kapitel und Seitenzahlen in Klammern bei den einzelnen Symptomen stammen aus diesem Buch und sollen als Ergänzung dienen.

Im Folgenden sind die o.g. Symptome und deren Behandlung im Detail beschrieben.

Bei Bedarf können die jeweiligen Symptome auch einzeln ausgedruckt werden.

Schmerz (Kapitel 2.2, S. 29)

E. Tanner                    

1. Definition

  • Schmerz ist, was eine Person als schmerzhaft erlebt. Schmerz entsteht durch physikalische bzw. körperliche Ursachen und wird durch biologische, psychologische, soziale und spirituelle Faktoren beeinflusst (total pain concept).
  • Die Grundlage einer angemessenen Schmerzbehandlung ist eine strukturierte Schmerzanamnese und ein Schmerzerfassungsassessment.
  • Medikamentöse und nicht medikamentöse Massnahmen gehören zu jeder Schmerztherapie.

 

2. Therapie

1. Medikamentöse Therapie

  • Grundregeln der medikamentösen Schmerztherapie:
  • Jeder Patient erhält sofort, was er braucht. Das Kind muss die Stufen nicht erklimmen.

Die WHO gibt bei Kindern einen Zwei – Stufen – Ansatz vor:

Stufe 1: Nicht – Opioide für milde Schmerzen

Stufe 2: Nicht – Opioide plus Opioide für moderaten und starken Schmerz

Eine Kombination mit Nicht – Opioiden zur Optimierung der Schmerztherapie ist zu erwägen, jedoch nicht zwingend notwendig.

Der am wenigsten invasive Zugangsweg ist zu bevorzugen: oral, per Sonde, sublingual, nasal, transdermal oder nötigenfalls subkutan vor intravenöser Gabe.

2. Nicht – Medikamentöse Therapie

Einfache pflegerische Anwendungen wie:

  • Wärme/Kälte
  • Wickel, Massagen
  • Einreibungen
  • Komfort Position
  • Känguru-Methode
  • Orale Stimulation mit Nuggi/Wattestäbchen

Physio-/Bewegungstherapie, Akupressurband, progressive Muskelrelaxation, Aromatherapie, Musiktherapie usw.

Psychologische Begleitung und Unterstützung

Literatur

Schmerzkonzept Kinderspital:

https://www.kispi-wiki.ch/intravenose-flussigkeitszufuhr/schmerzkonzept

Obstipation (Kapitel 2.6.4, S.74)

D. Baudry

1. Definition

Obstipation ist ein häufiges und pflegerelevantes Problem bei Kindern und Jugendlichen mit chronischen Erkrankungen, in palliativen Situationen, im Besonderen während der End-of-life (EOL) Phase und stellt Pflegepersonen immer wieder vor hohe Herausforderungen.

Obstipation beinhaltet immer eine Veränderung der Stuhlgewohnheiten des Kindes oder des Jugendlichen und setzt sich aus 4 Symptomen zusammen:

1) Eine Verminderung der gewohnten Stuhlfrequenz des Patienten und/oder weniger als drei Stuhlabgänge pro Woche

2) Hart geformter Stuhl

3) Schmerzen und/oder Anstrengung bei der Defäkation

4) Subjektive Äusserungen des Patienten oder deren Betreuungspersonen wie:

  • Verminderte Stuhlmenge
  • Bauchschmerzen
  • Blähungen/Windabgang
  • Völlegefühl
  • Appetitlosigkeit

Punkt 1-3 reichen für sich alleine aus zur Definition einer Obstipation. Von Punkt 4 müssen mindestens 2 oder mehr der 5 Symptome vorhanden sein. Die Bristol-Stuhlformen-Skala gibt über Form und Beschaffenheit des Stuhlgangs Auskunft. Es ist ein Hilfsmittel, um die Dauer der Darmpassage beurteilen zu können.

2. Therapie

Medikamentöse Therapie

  • Es werden vier Gruppen von Laxantien unterschieden, die verschiedene Wirkungsweisen haben
  • Osmotisch wirksame Laxantien
  • Gleitmittel
  • Stimulierende Substanzen
  • Quell- /Faserstoffe

Es gibt in der palliativen Pflege keine eindeutig bevorzugten Medikamenten zur Obstipationsprophylaxe. Sie richten sich in erster Linie nach den Geschmackspräferenzen des Kindes, den Verabreichungsmöglichkeiten und der Verfügbarkeit. Die ersten beiden können sich im Verlauf der Therapie ändern und müssen somit angepasst werden. Eine medikamentöse Behandlung wird nicht erst bei ersten Anzeichen einer Obstipation eingeleitet, sondern wird prophylaktisch verabreicht. Orale Laxantien, per os/Sonde sind primär den rektalen Laxantien vorzuziehen.

Nicht-medikamentöse Therapie

Die Evidenz ist zu verschiedenen nicht-medikamentösen Behandlungen schwach oder nicht vorhanden. Die nicht medikamentösen Behandlungen können im Rahmen einer Obstipationsprophylaxe unterstützend eingesetzt werden, sie ersetzen die medikamentöse Behandlung jedoch nicht.

Eine ausgewogene und ballaststoffreiche Ernährung, Früchte und Gemüse ist anzustreben. Zu berücksichtigen sind in der EOL Phase die Bedürfnisse und Wünsche des Patienten. Es ist wichtig genügend zu trinken. Der Nutzen von zusätzlich getrunkener Flüssigkeit zur empfohlenen Flüssigkeitsmenge/Tag ist jedoch nicht erwiesen.

Es besteht kein direkter Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von Obstipation und dem Mass an Bewegung. Bewegung verbessert allerdings das allgemeine Wohlbefinden und kann sich positiv auf die Darmfunktion auswirken.

Pre-und Probiotika werden kontrovers diskutiert und es müssen noch mehr Studien dazu durchgeführt werden. Bei immunsuprimierten Patienten sind Probiotika (z.B. Aktifit) kontraindiziert (Ernährungskommission LUKS, 2009).

Eine Abdominalmassage kann die Stuhlfrequenz steigern.

Fehlende Intimsphäre und die Anpassung der Stuhlgewohnheiten an eine fremde Umgebung haben einen grossen Einfluss während des Spitalaufenthaltes – wichtig zu Hause, wieder gewohnten Rhythmus und Rituale aufzunehmen.

Hinweis: Beim Start von Opioiden muss auch eine medikamentöse Therapie zur Darmentleerung  prophylaktisch gestartet oder weiter durchgeführt werden. Mit der Gabe von Opiaten vergrössert sich die Gefahr für einen Ileus da der Darm dadurch paralytisch werden kann.

Literatur

Ernährung und Hydrierung (Kapitel 2.6.1 / S.62)

E. Tanner

1. Definition

  • Eine ausgeglichene und angemessene Ernährung und Hydrierung haben positive Auswirkungen auf die Lebensqualität, Entwicklung und die Immunabwehr.
  • Im palliativen Setting sind Ernährung und Hydrierung der Patienten an deren Zustand und Wunsch anzupassen.
  • Eine Einschränkung der Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr widerspricht meist dem elterlichen, pflegerischen und ärztlichen Gefühl der Fürsorge und kann deshalb sehr belastend sein.
  • Eine künstliche Ernährung sollte ein Gewinn an Lebensqualität für das Kind bedeuten und mit realistischen Zielen und Erwartungen verbunden sein. Ein Verzicht oder die Einschränkung von Nahrung und Flüssigkeit kann bei guter Pflege im besten Interesse des Kindes und seiner Familie sein und ist ethisch im Einzelfall ein korrektes Vorgehen.
  • Anorexie umschreibt den Verlust an Hunger oder Appetit und das fehlende Verlangen zu essen.
  • Kachexie bedeutet den Abbau an Körpermasse und die damit verbundenen metabolischen Veränderungen.
  • Die Ursachen sind vielfältig und häufig kombiniert: Progredienz der Grunderkrankung, medikamentös, gastrointestinal, metabolisch, oral, diätetisch, psychisch usw.

2. Normalbedarf

  • Der normale Flüssigkeitsbedarf kann in der Sterbephase zur Belastung für das Kind und die Familie werden. Deshalb kann die Lebensqualität durch ausschliessliches Befeuchten der Mundschleimhaut und der Lippen sowie ein regelmässiges Angebot von Flüssigkeit gewährleistet werden.
  • Erhalt bzw. Ersatz von Elektrolyten sowie deren Messung können zu einer umfassenden Symptomkontrolle gehören, die aber im palliativen Kontext in den Hintergrund rücken, besonders im ambulanten Setting.

3. Therapie

  • Medikamentöse Therapie
    • Eine Ernährung über die Magensonde ist nicht mit einer verlängerten Lebenserwartung verbunden und kann im Gegenteil zu Stress (Sondeneinlage) und Aspiration (Übelkeit, Erbrechen) führen.
    • Reversible Ursachen sollten erkannt und wenn möglich behandelt werden.
    • Medikamentöse Therapien gegen Anorexie oder Kachexie sind von geringer Wirksamkeit und Nachhaltigkeit und sollten gegen zusätzliche Nebenwirkungen oder falsche Hoffnungen abgewogen werden.
    • Kortikosteroide sind zwar mit kurzfristig vermehrtem Hungergefühl und längerfristiger Gewichtszunahme verbunden, aber auch mit signifikanten Nebenwirkungen.​​​​​​​
  • Nichtmedikamentöse Therapie
    • Engmaschiger Einbezug der Familie
    • Verständnis schaffen für reduzierten Bedarf von Nahrung und Flüssigkeit
    • Aktives Ansprechen von Ängsten des Verhungerns des Kindes
    • Zwangsernährung bedeutet im palliativen Setting meist keinen Vorteil für das Kind
    • Alternative, fürsorgliche Handlungen für und mit dem Kind anbieten
    • Regelmässige Mundpflege (s. auch Mukositis) durchführen
    • Ernährung anpassen: häufige kleine Mahlzeiten anbieten
    • Das Kind bestimmt, was und wann und wie viel es isst
    • Einbezug der Ernährungsberatung, Angebot zur Zusammenstellung eines Tagesplanes
    • Hochkalorische Nahrung nur anbieten, wenn Nutzen vor Schaden/Belastung
    • Starke Essensgerüche verhindern
    • Gemeinsame Mahlzeiten mit Eltern/Geschwister fördern
    • Regelmässige Gewichtskontrollen stellen meist eine zusätzliche Belastung dar. Deshalb nur durchführen, wenn sie mit positiven Auswirkungen auf die Lebensqualität  einhergehen.
    • Ein regelmässiger Stuhlgang ist auch ohne Essen wichtig, besonders unter Opioidtherapie.
    • Die Urinausscheidung sollte als Gradmesser für den Flüssigkeitshaushalt in der Lebensphase regelmässig beurteilt werden.​​​​​​​

4. Literatur

  • Kinderpalliativmedizin, Essentials. Das Wichtigste für die Palliative Care bei Kindern, Jugendlichen und ihren Familien, 2018 Streuli Jürg, Bergsträsser Eva, Flury Maria, Satir Aylin

Dyspnoe (Kapitel 2.3, S.43)

L. Fischer

1. Definition

  • Dyspnoe ist eine subjektive Empfindung von Unwohlsein beim Atmen. Diese kommt in qualitativ unterschiedlichen Formen und Intensitäten vor und kann bis zur Todesangst reichen.

2. Ursachen

  • Es wird zwischen pulmonal und nichtpulmonal bedingten Ursachen unterschieden:

Pulmonal

  • Chronisch – obstruktive Lungenerkrankung

  • Asthma bronchiale

  • Atelektasen

  • Pleuraerguss

  • Lungenembolien

  • Tumor, Metastasen

  • Pneumothorax

  • Lungenfibrose

  • Lungenresektion

  • Pneumonie, Bronchitis

  • Schlafapnoe

  • Pleuritis

Kardial

  • Herzinsuffizienz

  • Lungenödem

  • Perikarderguss

  • Pulmonale Hypertension​​​​​​​

Neuromuskulär

  • Myopathie

  • Zwerchfellschwäche​​​​​​​

Abdominal

  • Aszites

  • Tumor, Metastasen

  • Obstipation

  • Harnverhalt​​​​​​​

Zentral

  • Metabolisch z.B. Azidose

  • Hirnverletzungen

  • Anämie​​​​​​​

Weitere

  • Husten

  • Infekte

  • Sepsis

  • Schmerzen

  • Psychosozialbedingte Ursachen wie : Angst , Trauer

  • Refluxkrankheit

  • Trockene Raumluft

 

3. Therapie, Symptomlinderung

Möglichkeit invasiv-therapeutisch zu handeln wie z.B. Punktion, Exzision oder medikamentös therapeutisch z B. mit Morphingaben.

Nicht medikamentöse Therapie

  • z.B. Oberkörper hochlagern
  • Beruhigen
  • Physiotherapie
  • Anfeuchten der Luft
  • Ätherische Öle auf Fusssohlen bei Schleimansammlung , Unruhe, Angst oder auch Schlaflosigkeit
  • Mit dem Patienten reden, die Situation erklären
  • Raum regelmässig lüften
  • Gute Mund – und Lippenpflege​​​​​​​​​​​​​​

4. Literatur

  • Kinderpalliativmedizin, Essentials. Das Wichtigste für die Palliative Care bei Kindern, Jugendlichen und ihren Familien, 2018 Streuli Jürg, Bergsträsser Eva, Flury Maria, Satir Aylin
  • Spital Oberwallis, Susanne Colombo Onkologie / Palliativpflege​​​​​​www.hopitalvs.ch
  • https://silo.tips/download/richtlinie-dyspnoe-in-der-palliative-car
  • Onkodin.de/Supportive Therapie/Palliativmedizinische Aspekte/Atemnot:

https://www.onkodin.de/e6/e98490/e98524/ (12.11.2020); Autoren: M. Karthaus, H.Pohlmann

Psychische Symptome

Angst, Unruhe, Depressionen, Schlafstörungen

B. Gantner  

Einleitung

Viele unterschiedliche Emotionen sind in einer palliativen Situation normal. Dazu gehören Trauer, Wut, Hoffnung, Hoffnungslosigkeit, Angst und Verzweiflung. Diese können je nach Phase oder Zustand wechseln. Obwohl diese Gefühle normal sind, können sie für das Kind und/oder für die Familie als belastend erlebt werden. V.a. Ängste, depressive Symptomatik, Schlafstörungen und aggressives selbst- und fremdgefährdendes Verhalten belasten das Kind oder ihr Umfeld.

1. Definitionen

  • Emotionen als normale Reaktion auf die palliative Behandlung/Betreuung des Kindes und der Familie.
    • Angst ist ein ungerichteter Gefühlszustand, der eine unbestimmte Bedrohung signalisiert“
    • „Zustand gestörter bzw. fehlender Ruhe, innere Unruhe vs. motorische Unruhe"
    • „Unter sog. Dyssomnien versteht man Ein- und Durchschlafstörungen oder eine übermäßige Schläfrigkeit. Man unterscheidet:
  • Insomnie und Hyposomnie: häufigste Art der Schlafstörungen. Sie bedeuten Schlaflosigkeit oder zu wenig Schlaf. Häufig tritt eine Einschlafstörung auf, manchmal auch eine kombinierte Ein- und Durchschlafstörung ggf. mit morgendlichem Früherwachen. Hypersomnie: die Hypersomnie zeigt sich durch Schläfrigkeit am Tage und Schlafanfälle, die sich nicht durch nächtlichen Schlafmangel erklären lassen. Bei den sekundären Schlafstörungen liegt eine Erkrankung zugrunde.“

2. Ursachen

Belastungen beim Patienten

  • Konfrontation mit zunehmender Verschlechterung des Gesundheitszustandes
  • Krankheitssymptome (z.B. Schmerzen, Atemnot, Blutungen)
  • Funktionsverlust in Bereichen des alltäglichen Lebens
  • Körperlicher Verfall, Kraftverlust
  • Erleben existentieller Bedrohung
  • Erfahrung von Trennung, Einsamkeit und Isolation
  • Erleben der Erschütterung/Emotionen der Angehörigen
  • Offene Fragen über das Sterben und das Leben nach dem Tod

Anforderungen an den Patienten

  • Umgang mit den Krankheitssymptomen
  • Realisierung der zunehmenden Ausweglosigkeit
  • Umgang mit den emotionalen Reaktionen auf Krankheitsprogression und den Prozess des Sterbens
  • Hoffnung auf erreichbare Ziele (einfühlsame Nähe, Trost und Schmerzlinderung)
  • Abschiednehmen von Familie und Freunden
  • Wünsche wahrnehmen und äussern
  • Unerledigte Dinge möglich machen
  • Verbliebene Zeit mit Leben gestalten
  • Umgang mit Sinnfragen
  • Bilder des Übergangs finden

3. Therapie, Symptomlinderung

Alle zuvor genannten Gefühle haben ihre Berechtigung und sind in einer solchen Situation normal. Den Kindern und/oder Familien kann es helfen, dass jemand zuhört oder auch äussert, dass die Gefühle zum Prozess einer palliativen Begleitung dazugehören.

Bei den Gefühlen, welche durch die Kinder und/oder Familien als belastend erlebt werden, ist es wichtig, herauszufinden, was den Gefühlen zugrunde liegt. Einige Emotionen (z.B. Ängste) können z.B. mit Gesprächen verringert werden. Vielleicht braucht die Familie genauere Informationen durch Ärzte oder Pflegefachpersonen. Mit Einbezug eines Psychologen kann den Emotionen Raum gegeben werden und Strategien im Umgang damit erarbeitet werden (siehe auch pflegerische Massnahmen).

Unterstützend stehen auch angstlösende und beruhigende Medikamente zur Verfügung (siehe medikamentöse Massnahmen).

Wichtig ist eine offene und transparente Haltung zu haben und trotzdem die Entscheidungen und Wünsche der Familie zu respektieren und akzeptieren. Es soll eine kontinuierliche psychologische Begleitung angeboten werden.

Symptomatische Behandlung:

Psychotherapeutische Massnahmen

  • Gespräche mit dem Kind/Jugendlichen, Eltern, Geschwister, Familie anbieten
  • Bei Bedarf psychotherapeutische Interventionen (Imagination, Hypnotherapie, Verhaltenstherapie,…)
  • Anbindung an externe Begleitung (externe psychologische Praxis, Trauerbegleitung,…)
  • Einbezug von Seelsorge, Spiritual Care

Pflegerische Massnahmen Allgemein

  • Klare, ehrliche Kommunikation
  • Ruhe und Sicherheit signalisieren
  • Kinderspitex involvieren
  • Rückenmassagen bzw. Einreibungen mit Essenzen nach Wahl
  • Spaziergänge ermöglichen
  • Besuche ermöglichen: gute Freunde, Verwandte
  • Lieblingsmusik; TV – Filme
  • Bereitschaft für Gespräche signalisieren, sich hinsetzen für Gespräche
  • Offen sein für Fragen, jedoch nie ungewollte Information an Patienten abgeben
  • Aufzeigen, was die Eltern dem Kind noch Gutes tun können (Lieblingsessen, weiter in Schule oder Kindergarten schicken, geregelter Tagesablauf weiterhin aufrechterhalten etc.)
  • Zimmer bei Hospitalisation schmücken lassen mit privaten Dingen, Fotos
  • Hospitalisationsdauer so gering wie möglich halten (Austritt an Visite ansprechen)
  • ausreichende Schmerzmedikation

Angst

  • Am stärksten entlastend sind in dieser Situation tragende emotionale Beziehungen, d.h. vertrauten Personen ermöglichen, beim Kind zu sein
  • Falls möglich beheben der Angstauslöser durch gutes Vorbereiten und Erklären. Ängste mildern - oft braucht es nicht viele Worte. Wichtiger ist unsere Präsenz und Offenheit, gemeinsam mit dem Patienten und den Angehörigen den schwierigen Weg zu gehen und sie dabei zu unterstützen
  • Eine gute Symptomkontrolle baut Ängste und Verstimmungen ab

Unruhe

  • Beruhigende, sanfte Massagen oder Streichungen mit Lavendelöl
  • Vorlesen einer Geschichte, Halten der Hand, stilles Dasitzen können beruhigende, angstlindernde Wirkung haben
  • Vertraute Umgebung herstellen (eigene Decke, Kissen, Tücher, Poster, Musik)
  • Abschied nehmen ermöglichen, wenn ein Kind nicht mehr nach Hause kann (von vertrauten Personen oder auch Haustieren)
  • Eltern und Kind vermitteln, dass wir Zeit haben, wenn sie uns brauchen. Bei Gesprächen sollte man sich setzen, um den Fragen und Sorgen des Patienten und der Angehörigen Raum zu geben​​​​​​​

Depressive Symptome

  • Empathisches Zuhören und regelmässige Gesprächsangebote
  • Einbezug des Kindes und der Familie in möglichst viele Handlungen und Entscheidungen, Selbstwirksamkeit fördern
  • Je nach Alter das Kind seine Ängste über eine "dritte Person" aussprechen lassen (z.B. Teddybär, Erzählung von einem anderen kranken Kind)
  • Regelmässige Aktivitäten, Tagesstruktur bieten, Vermeiden von Zwangsmassnahmen
  • Verhaltenstherapie durch psychologisch geschulte Fachpersonen
  • Paramedizinische Massnahmen wie Massagen, Hypno- oder Musiktherapie

Schlafstörungen

  • Ausfüllen eines Schlaf-, Ess- und Aktivitätsprotokolls für einige Tage, um realistische Erwartungen an den Schlafbedarf zu erhalten
  • Einfluss von Medikamenten beachten
  • Ausschliessen von Ursachen wie Übelkeit, Schmerz oder Hunger
  • Förderung der Schlafhygiene (Schlafrhythmus herstellen, Licht und Lärm nachts vermeiden)
  • Rituale von zu Hause übernehmen (Singen, Vorlesen, Beten o.ä.)
  • Mindestens 2 Stunden Abstand zwischen Handy-/ Bildschirmkonsum, Essen und Einschlafzeit
  • Altersangemessene Einschlafzeiten
  • Komplementäre Therapie, Aromatherapie, Massage, pflanzliche Präparate wie Baldrian, Orangenblütentee, Melissenblätter, Passionsblumenkraut, Hopfenzapfen
  • Kirschkernkissen, Wärmeschäfli, beruhigende Musik

 

4. Medikamentöse Massnahmen

K. Otten

Angst

  • Medikamentös können wenn nötig Benzodiazepine und Antidepressiva versucht werden.

Unruhe

  • Symptomatisch können Neuroleptika wie Risperidon nützlich sein. Zur Akutsedierung Benzodiazepine (z.B Temesta) oder Chloralhydrat, auch in höherer Dosierung.

Depressive Symptome

  • Medikation selten nötig, Nebenwirkungsspektrum und Co-Medikation bedenken!
  • Bei akuten oder subakuten Ängsten anxiolytische Therapie mit Benzodiazepinen (z.B. Midazolam) oder SSRI (z.B. Fluoxetin/Cipralex), ggf. auch in Kombination
  • Second line: Risperidon, Haloperidol, Nozinan, Lorazepam, Chloralhydrat, Phenobarbital

Schlafstörungen

  • Medikation zurückhaltend: Chloralhydrat, Benzodiazepine (Cave: Verminderung der Tiefschlafphasen, langfristig Wirkungsverlust), Antihistaminika, Melatonin, Neuroleptika (insbesondere bei Parasomnien)

 

5. Literatur

  • Kinderpalliativmedizin, Essentials. Das Wichtigste für die Palliative Care bei Kindern, Jugendlichen und ihren Familien, 2018 Streuli Jürg, Bergsträsser Eva, Flury Maria, Satir Aylin
  • Palliative Care bei Kindern. Schwerkranke Kinder begleiten, Abschied nehmen, weiterleben lernen, 2014 Bergsträsser Eva
  • Psychosoziale Versorgung in der Pädiatrischen Onkologie und Hämatologie
  • Psychosoziale Arbeitsgemeinschaft in der pädiatrischen Onkologie und Hämatologie (PSAPOH), 2019 AG in der Gesellschaft für pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH)

Mukositis/Mundtrockenheit (Kapitel 2.6.3, S.71)

E. Tanner

1. Definition

  • Mundtrockenheit (mit oder ohne borkige Beläge) ist ein häufiges Symptom in der Lebensphase mit eingeschränkter Lebensqualität.
  • Von Mukositis spricht man bei Ulzerationen, Erosionen und/oder Rötungen der Mundschleimhaut.
  • Mundgeruch kann aus Veränderungen im Mundraum und Verdauungstrakt sowie in den Atemwegen resultieren.
  • Symptome im Mundbereich führen durch Schwierigkeiten bei der Nahrungs- und Medikamentenaufnahme sowie erschwerter  Mundpflege zu einer deutlichen Beeinträchtigung der Lebensqualität.
  • Mundpflege ist eine wichtige Intervention zur Steigerung und Erhaltung der Lebensqualität im palliativen Setting. Sie gilt als wichtige Prophylaxe der belastenden Symptome wie Mukositis, Aphten, Pilzbefall, trockene Zunge und rissige Lippen.
  • Bei fehlendem Leidensdruck kann die Therapie in der Terminalphase neben einer guten Analgesie auf minimale Massnahmen der Mundpflege beschränkt werden

2. Ursachen/Assessment allgemein

  • Neben Chemotherapie, Bestrahlung, Infektionen und Mangelernährung können zahlreiche Medikamente eine Mukositis und Mundtrockenheit auslösen.

Therapie

3. Nichtmedikamentöse Therapie

  • Symptomkontrolle bei gleichzeitiger Flüssigkeitsaufnahme kann mit kleinen Eiswürfeln versucht werden (Vitaminsäfte, Suppen, Fruchtstücke, Cola etc.)
  • Regelmässige Mund- und Zahnpflege. Lippen feucht halten und mit fettenden Cremen pflegen. Zunge mit Wattestäbchen oder weicher Zahnbürste reinigen.
  • Mundsoor, siehe Medikamentöse Behandlung
  • Mundspray zur regelmässigen Befeuchtung mit Wasser oder beigefügtem Aroma nach Wunsch.
  • Ernährung anpassen: nicht zu hart, nicht zu sauer, nicht zu salzig oder scharf.
  • Hier sind aber die individuellen Vorlieben verschieden und entsprechend zu berücksichtigen.

4. Medikamentöse Therapie

  • Es gibt verschiedene Lutschtabletten, welche eine antibakterielle und befeuchtende/ erfrischende Wirkung haben. Die Kinder haben aber ihre eigenen Vorlieben, worauf Rücksicht zu nehmen ist.
  • Bei schwerer Mukositis ist die systemische Opioidtherapie (PCA-Pumpe) die Therapie der Wahl.
  • Lokale Anästhetika (anästhesierende Mundsprays).
  • Lokale und/oder systemische Behandlung von Soor.
  • Blutendes Zahnfleisch kann mit Tranexamsäure (Brausetablette) als Mundspülung oder mit Wattestäbchen behandelt werden.
  • Empfindungen in der Mundregion sind sehr individuell und sollten deshalb mit dem Kind und/oder den Eltern abgesprochen werden.
  • Weiterhin gibt es zahlreiche Tricks, um die Mundpflege für das Kind attraktiver zu gestalten: Brausepulver, Sprühsahne, Butter, Mandelöl, Eiswürfel mit Aroma usw.

5. Literatur

  • Handbuch Kinderspital Mundpflegekonzept
  • Kinderpalliativmedizin, Essentials. Das Wichtigste für die Palliative Care bei Kindern, Jugendlichen und ihren Familien, 2018 Streuli Jürg, Bergsträsser Eva, Flury Maria, Satir Aylin

Übelkeit / Erbrechen (Kapitel 2.4, S.49)

E. Tanner

1. Definition

  • Übelkeit ist ein subjektives, unangenehmes, oft belastendes Gefühl in der Magengegend, das mit Appetitverlust und ggf. vermehrtem Speichelfluss und Brechreiz verbunden ist. Es ist nur schwer objektiv zu beurteilen, insbesondere bei nicht voll ansprechbaren Patienten.
  • Bei Erbrechen kommt es schließlich zur (sicht- und messbaren) Entleerung von Mageninhalt über die Speiseröhre und den Mund.
  • Die Ursachen von Übelkeit und Erbrechen sind vielseitig und die Wahl der Therapie davon abhängig. Übelkeit und Erbrechen können oft nur reduziert und nicht vollständig kontrolliert werden.

2. Therapie

  • Medikamentöse Therapie
    • Ursachen- und symptomgestützte Wahl des Antiemetikums (Streuli S. 50/51 Tabelle 2-10)
    • Häufig ist eine Kombination von Antagonisten unterschiedlicher Rezeptoren nötig.
    • Steroide werden in der Pädiatrie aufgrund des ungünstigen Nebenwirkungsprofils und der schnell nachlassenden Wirkung zurückhaltend verwendet.
    • Bei Chemotherapie induzierter Übelkeit kann ein kurzzeitiger Einsatz von Ondansetron sinnvoll sein.
  • Nicht Medikamentöse Therapie
    • Physikalische Massnahmen wie Massage, Wärme oder Kälte, frische Luft
    • Vermeidung von starken Gerüchen und körperlicher Anstrengung
    • Berücksichtigung von begleitenden Ängsten. Die Anwesenheit einer vertrauten (Fach-) Person und eine vertraute Umgebung sind daher wichtig.
    • Ernährung mit kleinen, bekömmlichen und für das Kind attraktiven Mahlzeiten.
    • Bei Übelkeit können kalte oder warme Umschläge auf die Stirn, sanfte Massagen oder schwache, für das Kind angenehme ätherische Öle (Pfefferminz, Lavendel) helfen.
    • Angepasste Ablenkung (stille Zuwendung oder aktives Teilhaben am Alltag) durch Bezugsperson beurteilen lassen
    • Nach dem Erbrechen Gesicht waschen, Mund spülen, lüften, ev. Bett neu beziehen.

3. Literatur

  • Kinderpalliativmedizin, Essentials. Das Wichtigste für die Palliative Care bei Kindern, Jugendlichen und ihren Familien, 2018 Streuli Jürg, Bergsträsser Eva, Flury Maria, Satir Aylin

Neurologische Symptome

K. Otten

Epileptische Anfälle, Dystonie und Spastik, Palliative Sedierung

1. Definition

Epileptische Anfälle

  • „Ein epileptischer Anfall ist die, in der Regel vorübergehende, Folge plötzlich auftretender, synchroner elektrischer Entladungen unterschiedlich lokalisierter und unterschiedlich grosser Gruppen von Nervenzellen im Gehirn. Je nach Lokalisation des Anfallsgeschehens im Gehirn können sich unterschiedliche Erscheinungsformen epileptischer Anfälle zeigen, die zu unwillkürlichen stereotypen Bewegungs- oder Befindlichkeitsstörungen führen.“
  • Epileptische Anfälle am Lebensende sind relativ häufig und für das Umfeld extrem beängstigend. Ist im Verlauf der Erkrankung ein Anfall zu erwarten, sollte die Familie frühzeitig über diese Möglichkeit informiert werden und entsprechende Handlungsempfehlungen erhalten. Anfälle sind nicht immer sicher zu erkennen und z.T. von Bewegungsstörungen schwer zu unterscheiden (Dyskinesien, Dystonie). Bei einer vorbestehenden neurologischen Grunderkrankung sind die Eltern die Experten für das Kind und sollten stets befragt werden. Ein fokaler Anfall mit erhaltenem Bewusstsein kann z.T. als sehr unangenehm erlebt werden.

2. Ursachen

  • v.a. neurologische Grunderkrankung, ZNS-Metastasen, Hypoxie, Elektrolytverschiebungen

3. Therapie

  • Medikamentöse Therapie
    • Therapie gemäss individuellem Notfallplan bzw. Empfehlung des fallführenden Neuroteams. (Cave: Bei einigen Krankheitsbildern sind einige Antikonvulsiva besonders geeignet bzw. ungeeignet.)
    • Akut in der Regel Lorazepam, Midazolam oder Diazepam (buccal, nasal oder rektal, bei Bedarf i.v.)
    • Bei therapierefraktären Anfällen in der Sterbephase ggf. Midazolam Dauertropf oder s.c.
    • Falls keine Sedierung erwünscht ist, eignet sich für die Dauermedikation Levetiracetam (Keppra)
    • Bei der Kombination von Anfällen und Spastik evtl. Vigabatrin (Sabril) in höherer Dosis
    • Falls eine Sedierung gewünscht ist, Phenobarbital in ausreichender Dosierung (Cave bronchiale Hypersekretion bei Dosen > 10 mg/kg/d)
    • Bei raumfordernden ZNS-Läsionen (Tumor oder Metastase) können zusätzlich Steroide hilfreich sein
  • Dystonie und Spastik
    • Diese können sich z.B. als Muskelspasmen, Opisthotonus, anfallsartige Verspannung, Kieferspasmen mit Beissen auf die Zunge oder Torticollis äussern.
    • Spastik und Dystonie sind meist schwierig zu beeinflussen. Bei den meisten Patienten sind diese Symptome bereits lange vorbestehend, so dass der Patient und seine Familie oft schon viel Erfahrung mit verschiedenen Massnahmen haben. Es bedarf daher einer individuellen Absprache mit dem behandelnden Arzt.
    • Medikamentös sind oft Benzodiazepine oder Baclofen (Lioresal), allenfalls hochdosiert, hilfreich, bei langem Krankheitsverlauf ist eine intrathekale Gabe zu erwägen.
    • Bei vorbestehender Spastik Vigabatrin (Sabril), Tetrabenazin (Nitoman), Alpha-Blocker, allenfalls deep brain stimulation oder Dauersedierung.
  • Palliative Sedierung
    • Eine palliative Sedierung am Lebensende kann mit dem Ziel eingesetzt werden, durch eine Bewusstseinsminderung unerträgliches Leiden bei therapierefraktären Symptomen zu lindern.
    • Der Einsatz einer palliativen Sedierung setzt einen sorgfältigen Entscheidungsprozess und die laufende Überprüfung der getroffenen Massnahmen voraus. Sie darf nicht zur Lebensverkürzung eingesetzt werden, nimmt diese aber unter Umständen in Kauf. Dadurch setzt sie sich von der aktiven direkten Sterbehilfe ab.
    • In erster Linie kommen Anxiolytika wie Midazolam (Dormicum) oder Lorazepam (Temesta) zum Einsatz.

4. Literatur

  • Kinderpalliativmedizin, Essentials. Das Wichtigste für die Palliative Care bei Kindern, Jugendlichen und ihren Familien, 2018 Streuli Jürg, Bergsträsser Eva, Flury Maria, Satir Aylin

 

Blutungen (Kapitel 2.10.1, S. 95)

B. Eisenreich

1. Definition

  • Im palliativen Kontext können Blutungen bei vielen Gelegenheiten auftreten, ohne dass sie gefährlich sein müssen. Andererseits kann eine unkontrollierbare Blutung auch das finale Ereignis sein. In einer ohnehin belasteten krankheitsbeladenen Situation stellt eine Blutung unabhängig von der Dignität immer eine schwere emotionale Bürde für Patient und Angehörige dar.
  • Es sollte im Vorfeld klar sein, ob und welcher Art Blutungen zu erwarten sind und dies den Angehörigen vermittelt werden. Bei eher ungefährlichen Blutungen sind sie dann vorbereitet und wissen damit umzugehen. Unbeherrschbare Blutungen sollten nicht kausal bekämpft werden, da dies per Definitionen nicht möglich ist. Hier liegt der Fokus auf Beruhigung, Schmerzlinderung, Anxiolyse und Behandlung einer Dyspnoe.

2. Ursachen

Gerade im onkologischen Umfeld gibt es in der Regel multiple Gründe für Blutungen. Das fängt bei einem kompromittierten Gerinnungssystem an und kann alle Komponenten der Blutstillung umfassen.

  • Thrombopenie: versiegende Produktion der Thrombozyten nach Chemotherapie und/oder zunehmender maligner Infiltration des Knochenmarks
  • Plasmatische Gerinnungsstörung: Chemotherapie, maligne Infiltration oder Substratmangel (Vitamin K) beschädigen die Syntheseleistung der Leber (irreversibel) und damit die Produktion aller humoralen Gerinnungsfaktoren. Häufig folgen Schleimhautblutungen (Epistaxis, Blutungen im Magen oder Darm, vaginale Blutungen), Ekchymosen und Hämatome. Das Spektrum reicht bis hin zur Disseminierten Intravasalen Coagulopathie (DIC), die dann einer kausalen Behandlung meist nicht mehr zugänglich ist
  • Gefässschädigungen: Tumorformationen (auch Pilzherde) können grosse Gefässe arrodieren – etwa in der Lunge – oder exulzerierend wachsen und damit auch arterielle Gefässe exponieren. Derartige Blutungen sind oft nicht mehr beherrschbar

3. Therapie bzw. Symptomlinderung

  • Die wichtigste Massnahme im akuten Fall einer Blutung ist in der Regel die lokale Blutstillung durch einfache manuelle Massnahmen. Dazu benötigt es keine speziellen Hilfsmittel. Jegliche Art Kompressen, Tamponaden, Kollagen oder Kollagenvlies, dazu Thrombinschwämme oder oxidierte regenerierte Zellulose erfüllen diesen Zweck
  • Zur lokalen Anwendung (Schleimhaut, kleine Verletzungen) eignet sich besonders Tranexamsäure (ein Fibrinolysehemmer, Cyklokapron®). Zu diesem Zweck können Kompressen damit getränkt werden
  • Systemische Anwendung von Tranexamsäure als Tabletten, Granulat (oder iv-Lösung), um kleineren Blutungen vorzubeugen.

Wenn eine Blutung auf eine überwiegend einzelne Ursache zurückzuführen ist, kann eine kausale Behandlung Sinn machen. Beispielsweise bei einer Thrombozytopenie bei Knochenmarksinsuffizienz, kann sowohl prophylaktisch als auch im akuten Fall eine Thrombozytentransfusion sinnvoll sein. Die Indikation zu einer Thrombozytentransfusion fällt zumeist als klinische Entscheidung weitgehend unabhängig von Laborwerten.

Eine Leberinsuffizienz oder in einer Mangelsituation ist die Gabe von Vitamin K einen Versuch wert.

Es gibt spezielle Situationen, die von "exotischen" Massnahmen profitieren können:

  • Lokale Anwendung von Tranexamsäure bei ulzerierenden Blutungen
  • Lokale Anwendung von Adrenalin
  • Progesteron bei vaginalen Blutungen

Ultima ratio bei unbeherrschbaren Blutungen bleibt die Gabe von Opioiden unterstützt von Benzodiazepinen zur Schmerzbehandlung, Anxiolyse, Beruhigung und damit auch von Nutzen bei einer Dyspnoe.

Bei fragilem Gerinnungssystem/Thrombozytopenie müssen thrombozytenaggregationshemmende Medikamente (Ibuprofen, Aspirin, Diclofenac) vermieden werden.

4.Literatur

  • Palliativversorgung von Kindern Jugendlichen und jungen Erwachsenen Düring, C. & Zernikow, B. (2013). B. Zernikow (Hrsg.), (2. Aufl., S. 263–272). Berlin, Heidelberg: Springer.
  • Topical haemostatic agents for skin wounds: a systematic review. Groenewold, M. D., Gribnau, A. J. & Ubbink, D. T. (2011).. BMC Surgery, 11, 15.
  • Kinderpalliativmedizin, Essentials
  • Das Wichtigste für die Palliative Care bei Kindern, Jugendlichen und ihren Familien, 2018. Streuli Jürg, Bergsträsser Eva, Flury Maria, Satir Aylin

Anämie (Kapitel 2.10.2, S. 99)

B. Eisenreich

1. Definition

  • Anämien sind zwar nicht ausschliesslich onkologischen Patienten vorbehalten aber fast alle onkologischen Patienten entwickeln eine (schwere) Anämie. Gerade in der Pädiatrie entwickeln die Patienten durch den chronischen Verlauf jedoch eine grosse Toleranz. Entscheidend in der Beurteilung und Behandlung einer Anämie sind daher nicht Laborwerte sondern die klinischen Symptome. Andererseits kann eine Anämie die Lebensqualität signifikant beeinträchtigen, die Behebung derselben diese entscheidend verbessern.
  • Da die Ursachen einer Anämie in der Regel bekannt und im zeitlichen Verlauf einschätzbar sind, kann die Behandlung einer Anämie unter Umständen unabhängig von Laborkontrollen nach einem festen Schema erfolgen. Dies erspart unnötige Kontrollen und kann den leidvollen Symptomen einer Anämie vorbeugen helfen.

2. Ursachen

  • Die kausalen Zusammenhänge für eine Anämie sind vielfältig und treten zumeist in Kombinationen auf. Nahezu jeder onkologische Patient in palliativer Situation hat im Krankheitsverlauf myelosuppressive oder -toxische Chemotherapie erhalten. Sind diese Behandlungen ausgeschöpft, hat die regenerative Kraft des Knochenmarks in der Regel nachhaltig gelitten. Insbesondere Strahlentherapie, wenn sie grösseren Markraum mit einschliesst, schädigt die Blutbildung dauerhaft.
  • Dazu kommt, dass neben den lymphoproliferativen Erkrankungen auch die meisten soliden Tumoren im fortgeschrittenen Stadium das Knochenmark infiltrieren können und damit die Myelopoese verdrängen.
  • Substratmangel kann ebenfalls eine Anämie konditionieren durch Malabsorption oder chronischen Blutverlust respektive chronischen Erkrankungen im Allgemeinen.
  • Niereninsuffizienten beziehungsweise chronischen Dialysepatienten droht zwar eine Anämie, der wird heute zumeist durch Erythropoetin wirksam begegnet. Hämolyse kann eine Differentialdiagnose bei der Genese einer Anämie sein, spielt jedoch selten eine Rolle im palliativen Umfeld.
  • Selten kann auch eine primäre Blutbildungsstörung Teil eines Krankheitsbildes sein, wie bei allen Erkrankungen mit Fehler in der DNA-Reparatur (Fanconi-Anämie).

3. Therapie bzw. Symptomlinderung

  • Indikation für die Behandlung einer Anämie ist die Symptomlinderung und Verbesserung der Lebensqualität. In der finalen Phase tritt diese Intention in den Hintergrund und die Anämie ist nur Teil des körperlichen Verfalls. Wenn das Leben schwindet, geht es nicht mehr um Lebensqualität. Die Symptome der Anämie erleichtern eher den letzten Schritt, dann darf sie auch zugelassen werden. Eine Ausnahme kann sein, dass eine Dyspnoe im Vordergrund steht, die von einem höheren Hämatokrit gelindert werden könnte.
  • Getreu dem bis dahin geäussertem macht eine ursächliche Therapie einer Anämie in der Lebensendphase zumeist keinen Sinn.
  • Nichtmedikamentöse Therapien einer Anämie gibt es nicht. In der finalen Phase hat Substitution eines Substratmangels oder Erythropoetin aller Wahrscheinlichkeit nach keine Wirkung mehr.
  • Einzig relevante Behandlung bleibt also die Transfusionstherapie. Wie eingangs erwähnt, dient diese Behandlung in der Regel der Symptomlinderung und ist bis zu einem gewissen Masse planbar. Solange die Symptome tatsächlich gelindert werden durch eine Transfusion, sollten sie möglichst gar nicht mehr auftreten. Die Transfusion sollte also so geplant werden, dass sie dem Auftreten der Symptome möglichst vorgreift.
  • Nicht selten treten allergische oder febrile nichthämolytische Transfusionsreaktionen auf (febrile Reaktionen müssen dem Transfusionslabor gemeldet werden).

CAVE:

  • Nach Möglichkeit  blutgruppenidente Transfusion, um das Risiko anaphylaktischer Reaktionen zu minimieren.
  • Type & Screen ist für 72h gültig
  • Einmal aufgewärmtes Blut muss innerhalb von 6h transfundiert sein
  • Notfallmedikamente müssen vorher verordnet sein und unmittelbar bereit stehen
  • Zu einer Transfusion parallel laufende Infusionslösungen sollten vermieden werden. Zumindest keine Glucoselösungen in höherer Konzentration als 10% (lysiert sonst Erythrozyten) und keine Opiat-PCA (unterbricht oder beschleunigt die Opiatgabe; eine Opiat-PCA wird ohnehin besser subkutan gesetzt).

4 Literatur

  • Palliativversorgung von Kindern Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Düring, C. & Zernikow, B. (2013). B. Zernikow (Hrsg.), (2. Aufl., S. 263–272). Berlin, Heidelberg: Springer.
  • Topical haemostatic agents for skin wounds: a systematic review. Groenewold, M. D., Gribnau, A. J. & Ubbink, D. T. (2011).. BMC Surgery, 11, 15.Kinderpalliativmedizin, Essentials
  • Das Wichtigste für die Palliative Care bei Kindern, Jugendlichen und ihren Familien, 2018. Streuli Jürg, Bergsträsser Eva, Flury Maria, Satir Aylin

Fieber

L. Fischer

1. Definition

  • Erhöhung der Körperkerntemperatur auf > 38,0 °C.

2. Ursachen

Fieber ist ein wichtiges Symptom verschiedener Krankheiten. Häufige Ursachen sind:

  • Infektionen
  • Tumorfieber
  • Zentral bedingtes Fieber
  • Medikamente
  • Blutprodukte

3. Behandlung

unspezifisch, "symptomatisch":

  • Fiebersenkende Medikamente (v.a. Paracetamol, Ibuprofen, Metamizol)
  • nicht medikamentös: Wickel, Fieberwaschungen, kühlende Bäder und viel Flüssigkeit

spezifisch, je nach Ursache:

  • Antibiotika
  • Virostatika
  • Chemotherapie

4. Literatur

  • Onkodin.de/Supportive Therapie/Palliativmedizinische Aspekte/Fieber. Autoren: M. Karthaus, H.Pohlmann​​​​​https://www.onkodin.de/e6/e98490/e98584/ (12.11.2020)
  • Spital Oberwallis, Susanne Colombo Onkologie / Palliativpflege
  • Kinderpalliativmedizin, Essentials. Das Wichtigste für die Palliative Care bei Kindern, Jugendlichen und ihren Familien, 2018. Streuli Jürg, Bergsträsser Eva, Flury Maria, Satir Aylin

Fatigue/Müdigkeit (Kapitel 2.5.2, S. 57)

E.Tanner

1. Definition

Fatigue bedeutet, dass man trotz genügend Schlaf stets müde, energielos und erschöpft ist. Es ist das häufigste Symptom am Lebensende bei Kindern mit einer onkologischen Erkrankung. Der Leidensdruck für Patienten und deren Eltern ist dabei besonders gross.

Es gibt zurzeit keine wirkungsvolle Behandlung gegen Fatigue.

2. Ursachen

Es wird zwischen einer reversiblen Fatigue in einer stabilen Therapiephase  und einer irreversiblen Fatigue am Ende der Lebens Phase unterschieden.

Ursachen sind die Grunderkrankung mit ihren Folgen und die Therapie mit ihren Nebenwirkungen.

Weitere Ursachen sind die fehlende Tagesstruktur, veränderte Schlafgewohnheiten und die hohe psychische Belastung.

Eruiert wird das Symptom der Fatigue mittels Anamnese.

3. Therapie/Symptomlinderung

Wichtig ist, dass Fatigue erkannt und angesprochen wird vom Behandlungsteam.

Nichtmedikamentöse Therapie

  • Erkennen von psychischen und spirituellen Faktoren
  • Feste Tagesstruktur mit angemessenen, alltäglichen Arbeiten, Schule oder Kindergarten. Patient dazu motivieren aber nicht überfordern. Gewohnter Schlafrhythmus und eigene Schlafutensilien (Kopfkissen, Schlafdecke, Kuscheltier usw.)
  • Fatigue können auch Ausdruck von negativen Gefühlen sein. Deshalb ist es wichtig dem Kind die Möglichkeit zu geben,  negative Gefühle (Angst, Traurigkeit, Einsamkeit, Überforderung) ansprechen zu können
  • Bestärken von noch vorhandenen Fähigkeiten und Aufrechterhaltung von Freunden, damit der Verlust der verlorenen Aktivitäten besser akzeptiert werden kann

Medikamentöse Therapie

  • Nach Möglichkeit solle Medikamente reduziert oder abgesetzt werden, welche eine Fatigue begünstigen
  • Bluttransfusionen bei Anämie kann die Symptome von Fatigue lindern

Pflegerische Interventionen

  • Reduktion durch nächtliche Störungen und Verbesserung der Schlafqualität ( Licht, Geräusche, Medikamentenverabreichung, Monitoring usw.)
  • Sinnvolle Tagesstruktur mit ausgeglichener Balance von Aktivität und Ruhe
  • Angepasste, körperliche Aktivität (Physio, Spaziergang an der frischen Luft/Balkon)können hilfreich sein

4. Literatur

Kinderpalliativmedizin, Essentials

Das Wichtigste für die Palliative Care bei Kindern, Jugendlichen und ihren Familien, 2018 (Streuli Jürg, Bergsträsser Eva, Flury Maria, Satir Aylin)

Schlaflosigkeit/Insomnia

1. Definition

Schlaflosigkeit belastet, genau wie Fatigue, das Kind und seine ganze Familie.

2. Ursachen

  • Auslöser können Angst, Schmerz, Depression, veränderte Schlafgewohnheiten, fehlender Tag- Nachtrhythmus oder gestörte Nachtruhe sein.
  • Es kann hilfreich sein, ein Schlaf- Ess- und Aktivitätsprotokoll auszufüllen um realistische Erwartungen an den Schlafbedarf zu fördern.
  • Medikamente wie z.B. Steroide können den Schlaf negativ beeinflussen.

3. Therapie

Nichtmedikamentös

  • Ursache eruieren, Ausschliessen von Schmerz, Hunger, Nausea
  • Angststörung oder Depression sollte behandelt werden
  • Vermeiden oder Reduzieren von nächtlicher Ruhestörung
  • Tagesschlaf auf ein Minimum reduzieren
  • Ein Ritual vor dem Einschlafen kann helfen (Geschichte, Lied, Lavendelgeistli usw.)
  • Komplementäre Therapie, Tees, Aromatherapie können schlaffördernd sein
  • Angenehme, ruhige Schlaf Atmosphäre schaffen
  • Eltern und Bezugspersonen mit einbeziehen​​​​​​​

Medikamentöse Therapie

  • Medikamente zurückhaltend anwenden und mit Unterstützung vom psychiatrischen Dienst einsetzen
  • Mit ärztlicher Expertise können div. Medikamente individuell eingesetzt werden